Unsere Sonderfahrt ins Tessin begann gleich in Stuttgart mit einem feuchtfröhlichen Höhepunkt, der Taufe der Diesellok Herkules, die seit dem 28. Mai 2004, 8.35 Uhr auf den Namen "Eisenbahn-Romantik" hört. Es war eine Idee von Armin Götz, dem Inhaber der IGE-Bahntouristik aus Hersbruck.
Die IGE führt seit mehr als 10 Jahren die Eisenbahn-Romantik Sonderfahrten durch. Und als zum Fahrzeugpark eine neue Diesellok hinzukam, lagen zwischen der Idee, deren Seitenflächen mit Bahn-Motiven und dem Eisenbahn-Romantik Logo zu versehen und der Realisierung nur wenige Wochen.
Mit der Eisenbahn-Romantik Lok ging es ab 9.08 Uhr in Richtung Basel. Dort angekommen mußten wir uns von unserem neue Maskottchen bereits wieder verabschieden, weil es für die Schweiz keine Zulassung hat. Weiter ging es mit einer Stangen E-Lok vom Typ Ae 3/6, dem einzigen noch betriebsfähigen Exemplar seiner Art.
Die wunderschöne Zentralschweiz wurde durchquert. Mit Blick auf die Rigi, den Zuger- und den Vierwaldstätter See. Vorbei an Schwyz und Altdorf, Orte, die nicht erst seit Friedrich Schillers Drama "Wilhelm Tell" auch über die eidgenössischen Landesgrenzen hinweg einen Namen haben.
Der Ort Erstfeld wurde erst später bekannt. Zumindest in der Welt der Eisenbahn. Hier ist der Ausgangs-Punkt der Gotthardrampe und dementsprechend viele Dampf-Rösser waren hier im Einsatz, um die Züge über dieses berühmte Felsmassiv zu bringen. Später, ab 1920, als die gesamte Strecke elektrifiziert war, kamen die großen schweren E-Loks namens "Krokodil" zum Einsatz.
Die größte, schwersten und leistungsfähigsten Elektroloks ihrer Zeit. Die Zeiten haben sich geändert, von den zahllosen Krokodilen ist in Erstfeld nur noch ein einziges übrig geblieben. Das braune Krokodil Ce 6/8, mit der Nummer 14 253 und dem Entstehungsjahr 1919, fährt zudem nur noch im Sonderverkehr.
Die Zugloks von heute sind jünger und stärker. Und einfacher zu warten. Das ist der Lauf der Zeit. Unser Krokodil bewegte sich, wie es sich für einen Oldtimer gebührt, mit Würde und Weile, aber ohne Eile. Anstelle der maximalen 65 wurden nur 50 Stundenkilometer gefahren. Aber das erhöhte den Reisegenuss nur noch. Abends, gegen 21 Uhr, erreichten wir Lugano.
Lugano Paradiso heißt die Station, von der aus wir uns mit dem Regelzug nach Capolago aufmachten. Dort ist der Ausgangspunkt der Zahnradbahn auf den Monte Generoso, ein 1.704 Meter hoher Berg, der einen traumhaften Blick in die Welt der Alpen bietet.
Das Monte Rosa Massiv kann dabei ebenso bewundert werden, wie der Blick in die Poebene. Vorausgesetzt, Petrus schiebt keine Wolken vor das Himmelspanorama. Uns war der Blick gen Süden leider nicht vergönnt, die Alpengipfel dagegen glänzten im hellen Sonnenlicht.
Die Bahn auf den Monte Generoso stand eigentlich unter einem ungünstigen Stern. Sie wurde eingeweiht, als in Europa die Wirtschaft am Boden lang. Später gab es immer wieder Stillegungs-Bestrebungen. Erst seit Mitte der 80er Jahre scheint der Bahn eine rosige Zukunft beschieden.
Mit neuen Fahrzeugen, die die gut 1.000 Meter Höhenunterschied in weniger als einer Stunde zurücklegen. An der Kreuzungs-Station Bella Vista konnten wir ein Bild schießen mit drei Fahrzeugen, unsere beiden Sonderwagen auf dem Weg ins Tal und dem Regelzug auf dem Weg nach oben.
Im Anschluss an den Monte Generoso war Dampf angesagt. Von Mendriso aus fuhr ein Dampfsonderzug Richtung Valmorea. Die Strecke in Richtung Norditalien wurde von Mussolini 1928 stillgelegt und die Gleise zum großen Teil entfernt.
Dieser Dornröschenschlaf währte ungefähr 65 Jahre. Bis sich der Verein "Club del San Gottardo" der Linie annahm und als Museumseisenbahn den Verkehr wiederaufnahm. Genzüberschreitend, mit Grenzübertritt, der in jeder Hinsicht filmreif ist.
Das Gleis ist mit einem Metallzaun verschlossen. Bei Ankunft des Zuges steigen Bahnmitarbeiter aus, öffnen das Tor, regeln mit den italienischen Grenzpolizisten die Formalitäten. Dann setzt sich der Zug in Bewegung, überschreitet gemessenen Schrittes die Grenze und wartet anschließend bis das Grenztor wieder verschlossen wird.
In der EU angekommen fahren wir dann noch einige Kilometer in Richtung Süden. Die italienischen Regionen Como und Varese unterstützen den Wiederaufbau der Strecke, um dieser etwas vergessenen Region ein wenig touristisches Leben einzuhauchen. Der kleine Dampfzug soll dabei eine Vorreiterrolle spielen.
Ungefähr 20 Mal im Jahr verkehrt der Zug. Wobei die Fahrten zwischen Juni und Oktober stattfinden. - Es hat riesig Spaß gemacht, mit Tigerli und den Oldtimerwagen zwischen Mendrisio und Valmorea und vor allem über die Grenze zu dampfen. Wobei uns das Filmen der Grenzbeamten streng untersagt war.
Der Museumszug brachte uns noch nach Melide, wo ganz in Bahnhofsnähe die Schweiz im Maßstab 1:25 aufgebaut ist. Über hundert bekannte und weniger bekannte Bauwerke Helvetiens sind dort im Laufe von 45 Jahren entstanden. Die Münster von Biel und Fribourg, das Regierungsgebäude von Bern, der Flughafen Klothen, Schlösser, Burgen, Bauernhöfe aus allen Kantonen und vieles andere mehr.
Und damit auch ein wenig Bewegung in die Gegend kommt, fahren die Autos auf der Autobahn, die Schiffe auf den Seen und vor allem jede Menge Eisenbahnen. Alles Eigenbauten im sonst nicht gebräuchlichen Maßstab 1:25. Das fährt die Jungfraubahn aus dem Bahnhof Lauterbrunnen, der Rote Pfeil umrundet die Rheinhafenanlagen und der TEE lässt die Bahnwelt der 50er und 60er Jahre wieder aufleben.
Güterzüge und "normale" Schnellzüge drehen unentwegt ihre Runden. Im Jahr kommen sie auf mehrere 1.000 Kilometer Fahrleistung. Die Schweiz im Kleinen ist wirklich einen Besuch wert, besonders wenn man wirklich in die Miniaturwelt eingetaucht und sich eins fühlt mit den Figuren im Modellmaßstab. Diese Illusion endet immer dann abrupt, wenn ein echter Betrachter ins Bild kommt.
Unsere Reisegruppe war irgendwann wieder dem Gullyverschen Maßstab entstiegen und fand sich tags darauf in Locarno im Tunnel wieder, dem Ausgangspunkt der Centovallibahn. Diese Bahnlinie, die im italienischen Domodossola endet, fängt recht unscheinbar an.
Sie würdigt die Stadt am Lago Maggiore eigentlich keines Blickes. Aus ihrer Sicht zurecht, waren es doch die Stadtväter, die die Bahnlinie aus dem Stadtbild verbannt haben. Aber das ist bereits Bahngeschichte. Ebenso die Sorgen um die Zukunft. Die Centovallibahn wird sicherlich auch noch in den nächsten Jahrzehnten ihre Fahrgäste wohlbehalten ans Ziel bringen.
Die Meterspurbahn ist in den vergangenen Jahren komplett saniert und modernisiert worden. Auch der Wagenpark ist auf dem neuesten Stand. Wobei man die hundert Täler auch in historischen Fahrzeugen aus dem Jahr 1923 überwinden kann.
Ganz in blau zuckelt man dann auf Holzbänken durch eine grandiose Landschaft. Insgesamt verfügt die 55 Kilometer lange Strecke über mehr als 100 Kunstbauten. Durch Fotohalte, diverse Zugkreuzungen und Überholungen sind wir fast den ganzen Tag auf dieser Bahnlinie unterwegs gewesen.
Da die Sonne beinahe ununterbrochen schien, hatten wir keinerlei Mangel an strahlenden Motiven. - Den Tag beschloß eine Fahrt mit der Standseilbahn auf den 912 Meter hohen San Salvatore, den Aussichtsberg Luganos.
Während des Abendessens konnte der Blick über den Lago di Lugano schweifen. Wer wollte, konnte noch den Aussichtsturm besteigen und wurde dafür mit einer 360 Grad Rundumsicht belohnt. Auch die Talfahrt in das nächtlich beleuchtete Lugano war sehr beeindruckend.
Abgerundet wurde unsere Tessinreise mit einer Fahrt auf der Misoxer-Bahn, die im Nordwesten von Bellinzona ihren Anfang hat. Die Bahn gehörte bis vor kurzem der Rhätischen Bahn. Sie soll auf einem Teilstück als Museumseisenbahn weiterleben.
Da im Vorfeld unserer Reise die Übergabemodalitäten noch nicht ganz geklärt waren, schien die Fahrt auf dieser Schmalspurbahn ins Wasser zu fallen. Aber die Rhätische Bahn kam uns zu Hilfe und mit einem unbürokratischen Akt kamen die Räder der alten Triebwagen doch noch ins Rollen. Ein herzliches Danke an die RhB für diese Hilfestellung.
Insgesamt waren es wieder vier gelungene Tage, die wir mit 160 Fahrgästen erleben durften. Wie jedes Mal glänzend organisiert und durchgeführt durch die IGE-Bahntouristik Hersbruck.
Das Fazit unserer Eisenbahn-Romantik Sonderfahrt kann nur lauten:
Das Tessin ist eine Reise wert und mit dem Krokodil über den Gotthard zu fahren, ist ein Erlebnis, das sich jeder Eisenbahnfreund einmal im Leben gönnen sollte.
(ESD: 12.09.2004)