Sie seien unrechtmäßig doppelt besteuert worden, warfen ein Steuerberater - Fall Az. X R 33/19 - und ein Zahnarzt - Fall Az. X R 20/19 - zusammen mit ihren Ehefrauen dem Finanzamt vor, und klagten auch dagegen. Der Bundesfinanzhof (BFH) wies die beiden Klagen zurück. Laut der Vorsitzenden Richterin Jutta Förster liegt eine doppelte Besteuerung nur vor, wenn die steuerfreie Rente später geringer ausfällt als die Summe der Beiträge, die man während des Berufslebens gezahlt hat. Die Richter sahen in den Fällen der beiden Ehepaare keine Doppelbesteuerung, beschlossen aber dennoch weitreichende Änderungen zum Thema Doppelbesteuerung bei Rentnern.
Was das Urteil des BFH für Beitragszahler und Rentner bedeutet
Der Bundesfinanzhof stellte klar, dass Rentner nicht doppelt besteuert werden dürfen. Dieses Urteil könnte sich für Millionen Steuerzahler positiv auswirken: Zum ersten Mal schrieb der Bundesfinanzhof genaue Regeln fest, nach denen die Finanzämter und -verwaltungen eine doppelte Besteuerung ausrechnen müssen. Denn die Finanzämter rechneten nach Auffassung des Bundes der Steuerzahler bislang so, dass meistens der Fiskus profitierte. Mit der geänderten Berechnungsregel ist das anders.
Wie kommt es, dass Rentner doppelt besteuert werden?
In der Regierungszeit von Gerhard Schröder wurde die Rentenbesteuerung geändert. Zuvor zahlten Arbeitnehmer ihre Rentenbeiträge von den besteuerten Einkünften und die Rente selbst wurde nicht besteuert. Durch das Alterseinkünftegesetz wurde 2005 das Verfahren der Rentenbesteuerung umgestellt. In einer langen Übergangsphase steigt seither der Anteil der Rente, der besteuert wird, nach und nach an - bis er 2040 bei 100 Prozent liegt. Parallel dazu werden die Rentenbeiträge bis 2023 kontinuierlich steuerfrei gestellt. Allerdings läuft das bislang nicht genau passend, sodass ein Teil der Rente zwei Mal besteuert wird.
Betrifft das Urteil nur Rentner oder auch Jüngere, Angestellte, Selbstständige?
Das Urteil betrifft auf jeden Fall auch Jüngere, vor allem diejenigen, die etwa 2040 in Rente gehen - also die heutigen Mittvierziger. Denn sie müssen ab 2040 ihre Rente voll versteuern, konnten aber als Arbeitnehmer erst ab 2023 die Rentenbeiträge voll absetzen. Für Angestellte ist das Problem der Doppelbesteuerung weniger brisant als für Selbstständige, da bei ihnen der Arbeitgeber die Hälfte der Rentenbeiträge bezahlt - und zwar steuerfrei.
Welche Rentner kann eine Doppelbesteuerung treffen?
Etwa ein Viertel der derzeit rund 20 Millionen Rentner in Deutschland zahlt im Moment Steuern. Bei den übrigen Rentnern handelt es sich zum Einen um Menschen, die bereits vor der Neuordnung 2005 in den Ruhestand gegangen sind oder zum Anderen um Rentner mit so geringen Einkünften, dass sie keine Steuern zahlen müssen. Momentan sind etwa 142.000 Klagen von Rentnern und Rentnerinnen an den Finanzgerichten anhängig, die vorsorglich Einspruch gegen ihren Steuerbescheid eingelegt hatten.
Über diese Summen wird gestritten
Wie hoch der Betrag ist, der bei betroffenen Rentnern zu viel besteuert wird, haben 2017 der Finanzmathematiker Werner Siepe und sein Bruder, Steuerberater Günter Siepe, in einer Studie berechnet. Die Berechnungen für einen Durchschnittsrentner sehen dabei so aus: Für Rentner, die 2017 in Ruhestand gegangen sind, liegt der Anteil, der zu viel besteuert wird, noch unter 10.000 Euro. Bei denjenigen, die 2020 in Rente gingen, sind es bereits mehr als 22.000 Euro. Und 2040 wären es über 53.000 Euro, die zu viel besteuert würden.
Auch andere Finanzexperten, etwa der Mathematiker Professor Klaus Schindler von der Universität des Saarlandes und Steuerberater Heinrich Braun aus Mannheim, gelangten zu dem Ergebnis, dass die Gleichung nicht aufgeht. Laut ihrer Berechnung werden teilweise mehr als 20 Prozent der Rente zusätzlich besteuert. Je nach Einzelfall gingen so mehrere Hunderte bis Tausende Euro zu viel an die Finanzämter. Erst in knapp 50 Jahren hätte das ein Ende.
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Wie sich der Fiskus wehrt und die Doppelbesteuerung ablehnt
Im Verfahren vor dem Bundesfinanzhof ging es bei der Berechnung einer möglichen Doppelbesteuerung auch um die Frage, was zu den steuerfreien Rentenbezügen zählt. Hier ist der Steuergrundfreibetrag, der auch für Rentner gilt, der größte Posten. Die Behörden argumentieren unter anderem, der Grundfreibetrag für Rentner von rund 9.500 Euro sei ausreichend. Professor Johanna Hey vom Institut für Steuerrecht an der Universität Köln sieht das anders.
Der Bundesfinanzhof hat in seinem Urteil diese Auffassung bestätigt: Der sogenannte Grundfreibetrag darf bei der Rentenbesteuerung nicht mit einbezogen werden.
Die Finanzämter stellten sich bislang quer - bundesweit. Steuerberater Heinrich Braun sagt: „Dahinter steckt aus meiner Sicht das Bundesfinanzministerium. Man hat Sorgen, dass man hier Milliarden von unberechtigten Steuereinnahmen zurückzahlen muss.“ Wenn diese Doppelbesteuerungen unterbunden werden, entstehen beim Bund nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft Mindereinnahmen von 90 Milliarden Euro für den Zeitraum 2020 bis 2040.
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Wie kann die Politik die verbotene Doppelbesteuerung ändern?
Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat bereits auf die Urteile des BFH reagiert und erklärt, dass sich die neue Bundesregierung diesem Thema widmen müsse. Die geforderten Änderungen der Rentenbesteuerung könnten gemeinsam mit der ebenfalls geplanten Reform des Einkommensteuerrechts verwirklicht werden. Dafür wurde etwa bereits die zuvor für 2025 vorgesehene volle Steuerbefreiung der Rentenbeiträge auf 2023 vorgezogen.
Was können Steuerzahler nach dem Urteil tun?
- Nur wer als Rentner einen aktuellen Steuerbescheid in Händen hält, kann Einspruch erheben und auf das Ruhen des Verfahrens drängen aufgrund der Entscheidung des BFH. Der Einspruch muss schriftlich eingereicht werden und zwar innerhalb eines Monats nach Erhalt des Steuerbescheids.
- Wer noch keine Einkommensteuererklärung abgegeben hat, sollte noch abwarten, was sich jetzt tut, rät der Bund der Steuerzahler. Die Rechtslage werde sicherlich bald klarer. Übrigens: Die Steuererklärung für das Jahr 2020 muss erst Ende Oktober 2021 beim Finanzamt eintreffen.
- Im Allgemeinen sind Männer von der aktuellen Gerichtsentscheidung mehr betroffen als Frauen, weil die statistisch geringere Lebenserwartung eine Rolle spielt. Für Singles ändert sich mehr als für Verheiratete, weil die Hinterbliebenenrente berücksichtigt werden muss. Und, wie erwähnt, kann sich besonders für Selbstständige einiges ändern.
- Wer also schon lange Rente bezieht, für den ändert sich steuerlich so gut wie nichts, bis auf wenige Ausnahmen. Wer erst in vielen Jahren Rentner wird, muss darauf bauen, dass der Gesetzgeber die rechtliche Grundlage nachbessert.
Tipps zum Thema Rentenbesteuerung
Der Bund der Steuerzahler Deutschland e.V. (BdSt) informiert: Rentensteuerurteil - Das müssen Sie jetzt wissen!
Guten Rat und Unterstützung bei Einkommensteuer und Widerspruch bietet auch der Lohnsteuerhilfeverein Baden-Württemberg an.
Spartipps zur Steuererklärung für Rentner gibt es zudem bei der Verbraucherzentrale.
Aktuelle Informationen zur Rentenbesteuerung finden sich auch beim Verbraucherportal Finanztip.