Unsichtbare Krankheiten

Nebennieren: Gefahr durch zu viel oder zu wenig Hormone

Stand
Autor/in
Markus Böhle
Onlinefassung
Heidi Keller

Die Nebennieren steuern wichtige Körperprozesse, doch oft bleiben Probleme lange unbemerkt. Das kann gefährlich werden – etwa, wenn Hormonstörungen den Blutdruck steigen lassen.

Kleines Organ, große Wirkung: Sie heißen zwar Nebennieren, sitzen aber eigentlich auf den Nieren - wie zwei kleine Mützchen. Obwohl sie nur wenige Zentimeter klein sind, wären wir ohne sie nicht lebensfähig. Eine Fehlfunktion der Nebennieren kann Betroffene deswegen aus der Bahn werfen - auch schon in jungen Jahren. 

Wenn die Nebennieren nicht richtig funktionieren, kann das zu schweren Schäden führen und sogar lebensbedrohlich sein. Denn die Nebennieren produzieren wichtige Hormone. Auch wenn Störungen nicht rechtzeitig diagnostiziert werden, kann das gefährlich werden - wenn etwa durch Hormonstörungen der Blutdruck unkontrolliert steigt. Wir erklären, woran man das erkennt, und was hilft. 

Bluthochdruck: Fehlfunktionen auch bei jungen Menschen 

Mit 30 Jahren Bluthochdruck – und wenn sich trotz noch mehr Sport, noch besserer Ernährung und höherer Dosierung der blutdrucksenkenden Medikamente nicht wirklich etwas ändert, werden die Sorgen immer größer. Langfristige Auswirkungen von hohem Blutdruck könnten Schlaganfall oder Herzinfarkt sein. 

An der Uniklinik Würzburg sollen Blutuntersuchungen zeigen, ob der Bluthochdruck der Patientin im Beispielfall hormonell bedingt ist. Ob sie zum Beispiel an einer Hormonstörung der Nebennieren leidet. Darauf ist man hier spezialisiert. 

Gesunde Lebensweise Blutdruck natürlich senken - diese Möglichkeiten gibt es

Bluthochdruck ist eine weit verbreitete Krankheit. Jeder dritte Erwachsene leidet daran. Neben Medikamenten können auch natürliche Methoden helfen, den Blutdruck wieder zu senken.

Doc Fischer SWR

Bluthochdruck verursacht durch eine Erkrankung der Nebennieren 

Die Hormone, die die Nebennieren bilden, sind wichtig für Stoffwechsel, Anpassung an Stress und vieles mehr. Eines der Hormone – das Salzhormon Aldosteron – sorgt dafür, dass nur wenig Natrium über die Nieren ausgeschieden wird.

Bildet der Körper durch eine Hormonstörung zu viel Aldosteron, wird noch weniger Natrium ausgeschieden. Die Folge: In den Blutgefäßen verbleibt zu viel davon. Da Natrium Wasser bindet, steigt das Blutvolumen und somit der Blutdruck.

Conn-Syndrom: Zu viel Hormone in der Niere erzeugen Bluthochdruck 

Die Ursache für Bluthochdruck kann also auch an einer Überfunktion der Nebenniere, dem sogenannten Conn-Syndrom, liegen. Diese Fehlfunktion, der Hyperaldosteronismus, kann operiert werden. 

Dass die Nebennieren-Hormone Bluthochdruck verursachen können, ist aber kaum bekannt. Dabei betrifft es immerhin vier bis zehn Prozent aller Bluthochdruckpatienten - bei rund sechs Millionen Patienten mit Hypertonie in Deutschland eine beachtliche Zahl an Betroffenen. 

Professor Martin Fassnacht, Leiter der Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Würzburg, weist darauf hin, dass bislang nur ein kleiner Teil davon erkannt wird. Der Grund ist die aufwändige Diagnostik. 

Dabei haben Patienten mit Conn-Syndrom sogar ein noch höheres Risiko für Folgeschäden als andere Bluthochdruckpatienten – etwa Herzinfarkt, Schlaganfall oder Herzrhythmusstörungen. 

Ein Mediziner untersucht die Niere eines Patienten mit einem Ultraschallgerät.
Eine Ultraschalluntersuchung der Nieren steht meistens am Beginn der Diagnose für eine Nierenerkrankung.

Hoher Blutdruck bei Menschen ab 40 Jahren

Gerade wenn der Blutdruck in jungen Jahren so hoch ist, mehrere Medikamente schlecht wirken oder zusätzlich ein Kaliummangel vorliegt, rät Professor Fassnacht dringend zu einem Screening. Auch gutartige Knoten in der Nebenniere, diagnostiziert in einem CT, können ein Hinweis auf das Conn-Syndrom sein – werden aber wegen der Gutartigkeit oft nicht verfolgt. Dabei können solche Knoten manchmal unkontrolliert Hormone bilden.  

Professor Fassnacht fasst für Patienten mit Bluthochdruck vier Faktoren zusammen, die für eine zusätzliche Untersuchung der Nebennieren sprechen: 

  • Der Patient hat zusätzlich ein erniedrigtes Kalium.
  • Er hat einen Nebennierentumor, der möglicherweise zufällig im CT entdeckt wurde.
  • Der Blutdruck lässt sich mit den normalen Blutdruck-Medikamenten nicht gut genug oder gar nicht einstellen.
  • Der Patient ist bei Diagnosestellung jung – jung heißt aus internistischer Sicht um die 40 Jahre.

Untersuchungen und Behandlung beim Conn-Syndrom 

Um die Hormone in den Nebennieren nachzuweisen, braucht es eine spezielle Untersuchung. Mit einem Katheter wird aus den Venen beider Nebennieren etwas Blut entnommen. Diese Untersuchung ist technisch anspruchsvoll und erfordert viel Erfahrung. 

  • Bilden beide Nebennieren zu viel Aldosteron, wird ein Medikament verordnet, das dem Hormon entgegenwirkt.
  • Ist der Wert aber nur an einer Drüse stark erhöht, wie in unserem Fallbeispiel, kann die Erkrankung mit einer Operation geheilt werden. Die betroffene Nebenniere wird von einem erfahrenen Chirurgen entfernt - in der Regel geht das minimalinvasiv. 

Wie jede OP birgt auch dieser Eingriff Risiken, doch die Patientin in unserem Beispielfall hat es nicht bereut: Seit der Operation ist ihr Blutdruck wieder normal – auch ohne blutdrucksenkende Medikamente. 

Wie der beidseitige Hyperaldosteronismus behandelt wird

Professor Martin Fassnacht erklärt die medikamentöse Behandlung bei einer beidseitigen Fehlfunktion so: Aldosteron-Blocker sind spezielle Medikamente, die direkt die Wirkung des Aldosterons blockieren. Daraufhin ist der Blutdruck in der Regel deutlich besser einzustellen als mit normalen Blutdruck-Medikamenten. Wenn es eine Kaliumstörung gab, ist sie in der Regel verschwunden. 

Mit diesen Medikamenten könne die Erkrankung aber nicht geheilt werden. „Bei der OP haben wir die Chance, dass der Patient danach tatsächlich keine Medikamente nimmt, es eine Heilung ist.“

Wenn die Nebennieren zu wenig Hormone produzieren: Morbus Addison

Ähnlich wie bei einer bekannteren Hormondrüse, der Schilddrüse, gibt es auch bei den Nebennieren Über- und Unterfunktionen. Das heißt: Nebennieren können auch zu wenig Hormon bilden.

Die Betroffenen können deswegen sogar in Lebensgefahr schweben – und haben deshalb in der Regel ihr Notfall-Set immer parat. Sie brauchen täglich Hormonpräparate - im Notfall auch schnell per Spritze. Ein Mangel an einem bestimmten Hormon, Cortisol, ist lebensgefährlich. Vorboten können Kreislaufversagen und heftige Kopfschmerzen sein.

Symptome für Morbus Addison

Die Krankengeschichte im Fallbeispiel beginnt mit Schwindel, Erschöpfung und Müdigkeit. Einige Ärzte vermuten psychische Ursachen. Die Patientin lehnt dies ab. An mehreren Stellen wird ihre Haut dunkler, und häufig ist ihr übel oder kalt. Eine Ärztin rät zu einem Hormontest an der Uniklinik Würzburg. Erst hier kommt man zur richtigen Diagnose: Morbus Addison, eine Erkrankung der Nebennieren. 

Professor Stefanie Hahner vom Universitätsklinikum Würzburg erklärt: „Der Morbus Addison ist eine Form einer Nebennierenunterfunktion. Also einer Situation, wo die Nebennieren nicht mehr ausreichend in der Lage sind, Hormone zu produzieren. In dem Fall betrifft es die Nebenniere selbst. Sie ist geschädigt im Rahmen einer Autoimmunerkrankung, die das Nebennierengewebe zerstört.“ 

Die Nebennierenrinde bildet dann kaum noch Cortisol. Mögliche Folgen sind Schwäche, Gewichtsverlust, niedriger Blutdruck oder dunklere Haut. Ohne Aldosteron fehlt dem Körper Salz. Viele Betroffene essen dann unbewusst große Mengen Salz. Zudem kann es auch zu einem Androgen-Mangel kommen. Er ist zwar selten, kann sich aber auf Behaarung oder Zyklus auswirken. 

Unterfunktion der Nebennieren: Behandlung durch Medikamente

Betroffene mit Morbus Addison müssen Cortisol und Aldosteron lebenslang ersetzen, vor allem mit Tabletten. Damit geht es ihnen zwar besser - optimal ist die Therapie aber nicht. 

Professor Stefanie Hahner berichtet aus aktuellen Studien, dass das medikamentöse Ersetzen von Cortisol nicht ausreicht. Viele Patienten leiden weiterhin unter einer Leistungsinsuffizienz, sind müde und weniger belastbar – bisweilen sogar in ihrer Berufstätigkeit eingeschränkt.

Der Tagesrhythmus des Cortisols

Der Körper bildet Cortisol nicht konstant, sondern in Schüben. Neueren Medikamenten gelingt es, diesen Tagesrhythmus besser nachzuahmen - aber oft noch nicht ausreichend. 

Die Patientin im Fallbeispiel erhält deswegen seit einem Jahr eine experimentelle Therapie: Das Cortisol wird über eine kleine Pumpe verabreicht, wie bei der Insulintherapie, und kann so von ihr genauer dosiert werden. Die Methode hat aber Risiken, ist nicht zugelassen und wird noch erforscht.

Professor Stefanie Hahner erklärt: „Es gibt klinische Studien dazu, die gezeigt haben, dass man damit gut die typischen Tagesprofile nachahmen kann. Die Effekte in den Studien waren gar nicht so eindrucksvoll, muss man sagen - im individuellen Einzelfall aber sehr gut.“ 

Mangel an Cortisol: Unsichtbare Krankheit mit Notfall-Risiko

Eine weitere Schwierigkeit bei Cortisol-Mangel: Bei belastenden Situationen, Stress oder Infekten muss das Cortisol kurzfristig erhöht werden, sonst droht Lebensgefahr. Ein Notfall-Set samt Ausweis und Anleitung haben Patienten deshalb immer bei sich.

Die Würzburger Uniklinik bietet zum Umgang mit den Spritzen auch Workshops für Betroffene und Angehörige. Im Idealfall erhalten die Patienten auch vom Arbeitgeber Unterstützung.

Schädigung der Nebennieren durch Immuntherapie

Neben einer Krankheit der Nebenniere können auch bestimmte Medikamente die Nebenniere so schädigen, dass sie nicht mehr ausreichend Hormone produziert – zum Beispiel Immuntherapien gegen Tumorerkrankungen.

Typische Nebenwirkung dieser zum Teil hocheffektiven Tumorimmuntherapien kann eine Autoimmunreaktion sein - das Immunsystem des Körpers wendet sich gegen die eigenen Organe. Hiervon kann zum Beispiel die Hypophyse betroffen sein, die Hirnanhangsdrüse, das Steuerungshormon für die Nebenniere. Die Nebenniere selbst ist intakt, aber das Signal aus dem Gehirn fehlt, die Nebenniere produziert deshalb nichts mehr. 

In den meisten dieser Fälle, bedauert Professor Fassnacht, sei die Funktion der Hypophyse allerdings zerstört und werde sich auch nicht wieder bessern. Diese Patienten werden den Rest ihres Lebens Kortison- oder Kortisol-Präparate einnehmen müssen. 

Ursachen für Nebennierenschwäche: viel Stress oder falsche Ernährung?

Gerade in sozialen Medien ist diese Frage ein großer Hype. Im Englischen spricht man von Adrenal Fatigue, also Nebennieren-Müdigkeit.

„Wenn man sich das endokrinologisch anschaut, muss man sagen, gibt es diese Art von Nebennierenschwäche überhaupt nicht. Im Gegenteil, diese Bezeichnung ist aus meiner Sicht sogar gefährlich.“  

Sie führe dazu, dass ein Teil der Patienten, die möglicherweise mit anderen Therapien gut behandelt werden könnten – etwa bei einer psychosomatischen Erkrankung oder einer Depression – wegen dieser falschen Diagnose nicht adäquat behandelt werden. Oder, noch tragischer, warnt Professor Fassnacht, eine echte Nebenniereninsuffizienz wird deswegen nicht erkannt.

Die Patienten nehmen womöglich zweifelhafte, im Internet gekaufte Supplemente ein, die de facto nichts bringen. „Und die Diagnose und die Therapie einer lebensbedrohlichen Erkrankung, nämlich der Nebenniereninsuffizienz, wird verzögert. Im Endeffekt kommen die Patienten zu Schaden. Das ist aus meiner Sicht sehr gefährlich.“ 

Bei Nebennierenerkrankungen also besser nicht im Internet suchen, sondern Spezialisten zu Rate ziehen wie etwa in medizinischen Fachzentren. Hier haben die Ärzte Erfahrung mit vielen Krankheiten und können interdisziplinär zusammenarbeiten – zum Beispiel Endokrinologen mit Radiologen und Chirurgen.

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