Mit großem Respekt und großer Nähe

Nachruf Elmar Hügler

Stand

Der vielfach preisausgezeichnete und stilprägende Dokumentarfilmer, Autor und Regisseur ist im Alter von 88 Jahren gestorben. Elmar Hügler war einer der wichtigsten Vertreter der sogenannten Stuttgarter Schule.

Unvergesslich sind Werke aus der vielgerühmten Reihe „Notizen vom Nachbarn“ wie „Eine Hochzeit“(1969) oder „Wegnahme eines Kindes“(1971) oder auch Einzelfilme wie „Kunst und Ketchup“ (1966).

Elmar Hügler wurde am 3. April 1933 als Sohn eines Lehrers in Laupheim geboren, wuchs in Stuttgart und Ravensburg auf, studierte Germanistik, Anglistik, Theaterwissenschaften und Philosophie in München und Tübingen, war kurz Gymnasiallehrer, ehe er als freiberuflicher Autor tätig wurde. Von 1962 bis 1974 war Hügler Dokumentarfilmer beim Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart und Mitbegründer der bedeutenden „Stuttgarter Schule“.

Hügler lotete in seinen Werken mutig und provokativ die Grenzen des Genres aus. In der beim SDR in den sechziger Jahren entwickelten Reihe „Notizen vom Nachbarn“ richtete sich seine filmische Neugier auf den ganz normalen Alltag. Machart und Ziel dieser Filme orientierten sich am Direct Cinema. Man wollte das Leben zeigen, „wie es ist“ (Robert Drew). Diese Direktheit war mit den schweren Kameras der 50er Jahre nicht möglich gewesen. Erst in den 60er Jahren erlaubten es die kleinen 16-Millimeter-Kameras, näher an das Geschehen heranzugehen. Diese neuen leisen und leichten Kameras erlaubten, in Bewegung zu bleiben, und machten Originaltonaufnahmen. Man fing das Leben ein mit einer unentwegt suchenden Kamera und einem Mikrofon für jede Tonlage. Damit waren die Filmemacher nicht mehr auf einen Kommentar angewiesen und ließen ausschließlich die Bilder und den O-Ton für sich sprechen.

Dies war die Zeit, als Dokumentarfilme Höhepunkte im Fernseh-Programm bedeuteten. Die Filme der Stuttgarter Schule, insbesondere auch aus der Reihe „Zeichen der Zeit“ waren mal ohne jede Kommentierung, mal mit sehr bissigen Texten versehen. Der besondere Stil Hüglers war der Blick auf Privates, Intimes, Persönliches. Er war dabei zwar manchmal nahezu drastisch direkt doch zugleich immer voller Respekt für die Porträtierten. Er überschritt nie Grenzen zum Verletzenden. Filme wie „Eine Geburt“, „Eine Hochzeit“ oder „Wegnahme eines Kindes“, die um 1970 in der Reihe „Notizen vom Nachbarn“ gesendet wurden, zeigen vollkommen kommentarlos westdeutsches Alltagsleben.

Seine Filmtitel aus den Jahren 1969 – 1971 lesen sich wie Lebensstationen: „Ein Tanzkurs“, „Eine Hochzeit“, „Ein Examen“, „Eine Geburt“, „Eine Namensheirat“, „Eine Einberufung“, „Eine Trennung“, „Umzug ins Altenheim“. Weitere bedeutende Werke aus der Reihe waren: „Eine Priesterweihe“, „Wegnahme eines Kindes“. Gerade dieser letztgenannte Film über die Entziehung des Sorgerechts war für viele Zuschauende eine große Provokation. Er legte Vorurteile von Männern und Machtstrukturen offen und vermag auch noch heute unter die Haut zu gehen – selbst unter den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen.

Hugo Jehle
Elmar Hügler

Immer wieder fing so Hügler in seinen Filmen sehr private Augenblicke ein: Schmerz, Trauer, Glück, Einsamkeit. Zugleich blickte er auf die gesellschaftlichen Umstände: Rechtesystem, Religiosität, Familienstrukturen, soziale Regeln. Er zeigte das Individuum, geworfen in eine von ihm nur schwer beeinflussbare Welt. Wichtig war ihm besonders bei seinen Filmen die Unvoreingenommenheit. Er selbst sagte einmal der Berliner TAZ: „Bei jedem Film muss man alles Wissen auf null schrauben und ganz naiv rangehen. […] Absurd nach Drehbuch zu drehen, und fünf Meter neben dran passiert was unglaublich aufregend ist, das sieht man dann gar nicht!“ Hügler war dabei nie Purist. Anders als andere Vertreter der Stuttgarter Schule setzte er Musik als Gestaltungsmittel ein und verwehrte sich in seinen Aufsätzen gegen eine Pseudoauthentizität. Hügler erklärte die Musik als „Geschmack der vollen Wirklichkeit“.

Ein weiteres besonderes Werk abseits seines Stils der „Notizen von den Nachbarn“ ist „Kunst und Ketchup“. In diesem Film sieht man damals noch relativ unbekannte Künstler wie Joseph Beuys, Bazon Brock, Charlotte Moorman, Nam June Paik. Hügler kommentiert hier tastend, ironisch, manchmal auch verhalten bewundernd. Unter Pop-Art konnten sich damals die wenigsten etwas vorstellen und noch weniger unter Happenings. Hügler wagt sich an diese Kunstform, beobachtet mehr als ein Drittel des Films ein solches Happening, kommentiert sparsam, ja faktisch bis zur Lakonie und verbirgt dabei nicht seine Unsicherheit, wie er diese Kunstformen nun einschätzen soll. Dazu gehörte Mut, denn diese Künstler wurden damals oft von vielen für verrückt erklärt. Er wiederum stand als Filmschaffender unter dem Druck, ob so etwas würdig ist, im Fernsehen gezeigt zu werden.

1974 wechselte Elmar Hügler zu Radio Bremen, wo er die Leitung der Abteilung ‚Kultur und Gesellschaft‘ übernahm. Hier gründete er die Reihen: „Unter deutschen Dächern“, „Kinder der Welt“ und „Filmprobe“. Im April 1998 ging Elmar Hügler in den Ruhestand.

Während seines Wirkens und auch noch danach veröffentlichte er Aufsätze in Zeitungen und Fachbüchern ("Wie man Bilder zum Schweigen bringt" in "Guten Abend, hier ist das Fernsehen") und Buchveröffentlichungen: "Anstiftung zur Vorspiegelung wahrer Tatsachen" und war Dozent an der Hochschule für Fernsehen und Film in München.

Elmar Hügler erhielt diverse Preise und Auszeichnungen, u.a.: 1972  Goldene Kamera für „Notizen vom Nachbarn“ und „Mention Speciale“ beim Internationalen Fernsehfestival in Monte Carlo für „Eine Priesterweihe“, 1985 Adolf-Grimme-Preis in Silber, Wilhelm-Lübke-Preis, 1998 den Adolf-Grimme-Preis für sein Lebenswerk sowie Kulturpreise diverser Städte.

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Autor/in
SWR Fernsehen