In der aktuellen Sendung mit Denis Scheck, Insa Wilke und Ijoma Mangold ist die freie Literaturkritikerin Beate Tröger aus Frankfurt zu Gast. Gemeinsam werden die neuen Romane von Adania Shibli, Andrea Tompa, Eckhart Nickel und Witold Gombrowicz besprochen. Am Ende gibt es noch vier individuelle Buchempfehlungen.
Die Sendung wurde im historischen E-Werk der Stadt Baden-Baden aufgezeichnet, nach langer Corona-Pause einmal wieder mit Publikum.
Adania Shibli: Eine Nebensache
Ein Beduinenmädchen aus Palästina wird von israelischen Soldaten am 13. August 1949 brutal vergewaltigt. Es ist ein nebensächliches Detail, welches eine junge Frau aus Ramallah fasziniert, als sie Jahre später einen Zeitungsartikel über das Verbrechen liest: Das Verbrechen ereignete sich auf den Tag genau 25 Jahre vor ihrer Geburt. Weil das Schicksal des Mädchens sie nicht loslässt, versucht sie, mehr über den Vorfall herauszufinden. In einem psychologisch tiefgreifenden Roman beleuchtet Adania Shibli individuelle Schicksale in einer Welt, die von politischen Konflikten, Gewalt und Krieg gezeichnet ist.
Andrea Tompa: Omertà
Im Zuge der Kollektivierung der bäuerlichen Wirtschaft nach sowjetischem Vorbild in den 1940er Jahren in Rumänien wird der einst wilde Garten des ruhigen, belesenen Gärtners Vilmos zu einem Versuchsgelände für neue Obstsorten und international wettbewerbsfähige Rosenzüchtungen. Vier Figuren erzählen von der tiefgreifenden Veränderung: Vilmos, sein Dienstmädchen Kali, die vor ihrem gewalttätigen Ehemann geflohen ist, Annuschka, eine Halbwaise, in die Vilmos verliebt ist und deren Schwester Eleonóra, die Opfer politischer Säuberungen wird.
Eckhart Nickel: Spitzweg
Der Erzähler offenbart sich zunächst als Kunstbanause, lässt sich von seinem Freund Carl aber vom Gegenteil überzeugen: Besonders Spitzweg hat es dem Protagonisten angetan. Seine Passion geht schließlich so weit, dass er auch vor einem Verbrechen nicht zurückschreckt. Damit wird die einstige Schülerfreundschaft auf eine schwere Probe gestellt. Auf unterhaltsame, intelligente Weise erzählt Eckhart Nickel die Geschichte eines Kunstdiebstahls und übt dabei Kritik an der Gesellschaft und deren digitaler Bildvergötterung.
Witold Gombrowicz: Pornographie
Auf dem Landgut ihres adeligen Freundes Hipolit spinnen die jungen Intellektuellen Witold und Fryderyk eine frivole Intrige: Unter ihrer Anleitung verlässt die Tochter Hipolits ihren faden Verlobten, einen Advokaten, und fällt dem Landarbeiter Karol in die Arme. Doch das erotische Spiel wird zusehends beklemmend und endet schließlich tödlich. „Pornographie“ versammelt alle wichtigen Themen des als großer Stilist und Provokateur bekannten Autors Witold Gombrowicz: die Sehnsucht nach Jugend, Reife und Unreife sowie die Rebellion gegen gesellschaftliche Zwänge.
Hier finden Sie alle Bücher, die in der Sendung besprochen wurden:
Buchkritik Adania Shibli: Eine Nebensache
1949, im Jahr 1 nach Gründung des israelischen Staates. In der Negev-Wüste wird ein Beduinenmädchen von israelischen Soldaten vergewaltigt und getötet. 50 Jahre später begibt sich eine junge Palästinenserin auf Spurensuche. Adania Shiblis Roman "Eine Nebensache" ist eine kunstvolle Reflexion über die Frage, was Literatur kann angesichts von Unrecht und historischem Schweigen.
Aus dem Arabischen von Günter Orth
Berenberg Verlag, 117 Seiten, 22 Euro
ISBN 978-3-949203-21-3
Buchkritik Andrea Tompa – Omertà
Andrea Tompas fast tausendseitiger Roman „Omertà“ ist angesiedelt in einer ländlichen Gegend in Rumänien, im ehemaligen Siebenbürgen. Der Roman spielt im Zeitraum zwischen den 1940er und 1960-er Jahren und erzählt von Vilmos, einem nachdenklichen, belesenen Gärtner, der Rosen züchtet. Als die stalinistische Regierung seinen Garten umwandelt in ein Versuchsgelände für Obstsorten und international wettbewerbsfähige Rosenzüchtungen, die dem isolierten Rumänien Anerkennung verschaffen sollen, ändert sich nicht nur das beschauliche Leben von Vilmos.
Rezension von Beate Tröger.
Aus dem Ungarischen von Terézia Mora
Suhrkamp Verlag, 954 Seiten, 34 Euro
ISBN 978-3-518-43061-3
Buchkritik Eckhart Nickel – Spitzweg
Eine amouröse Dreiecksgeschichte, die in einer Rachefantasie mündet, und ein Kunstdiebstahl, der zum Nachdenken über die Macht der Bilder anregt. Der Roman „Spitzweg“ von Eckhart Nickel beschäftigt sich auf so artifizielle wie unterhaltsame Weise mit der Frage, was uns vergangene Kunstwelten heute noch erzählen können.
Eckhart Nickel - Spitzweg
Piper Verlag, 256 Seiten, 22 Euro
ISBN 978- 3- 492- 07143-7
Rezension von Carsten Otte
Zeitgenossen Eckhart Nickel: „Pop ist für mich das Schönste.“
Kaum ein zeitgenössischer Schriftsteller schreibt so elegant, klug und sinnlich über das Reisen wie der 1966 in Frankfurt geborene Gentleman-Traveller Eckhart Nickel. Nickel bereist naheliegende und weit entfernte Orte gleichermaßen, nutzt alle Verkehrsmittel stets in angemessener Kleidung und mit den passenden Büchern im Gepäck.