Probiotika sollen wahre Alleskönner sein. Sie sollen der Darmflora helfen, das Immunsystem stärken und für eine verbesserte Konzentration sorgen. Aber stimmt das?
Der Probiotika-Markt boomt: Allein 2021 wurden in Deutschland knapp 169 Millionen Euro Umsatz gemacht. Es gibt diese Nahrungsergänzungsmittel als Kapseln, Joghurts oder Pulver. Probiotika enthalten lebensfähige Bakterienstämme. Während die ersten Produkte noch gezielt für Darm-Kranke entwickelt wurden, wenden sich inzwischen immer mehr Anbieter auch an Gesunde, versprechen vorbeugende Effekte. So soll sich damit auch die Stimmungslage und die geistige Leistungsfähigkeit steuern lassen.
Mehr Marketing-Offensive als nachgewiesene Wirksamkeit
Die Darmflora ist extrem komplex, weiß Professor Andreas Sturm, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin mit Schwerpunkt Gastroenterologie an den DRK-Kliniken in Berlin. "Es gibt Tausend verschiedene Bakterien, doch wir kennen nur ungefähr 200 bis 300 mit Namen. Und ungefähr 30 bis 40 können wir kultivieren. In den Probiotika sind typischerweise sieben oder acht verschiedene Keime. Ob sie einen guten Effekt haben oder nicht, ist in den meisten Fällen nicht bewiesen - wird aber extrem beworben, weil es ein riesiger Markt ist."
Wissenschaftliche Studien sollen angeblich den Nutzen von Probiotika belegen
Das Unternehmen Institut Allergosan bspw. betont, dass die Wirkung von probiotischen Bakterienstämmen durch wissenschaftliche Studien belegt sei. Auch etliche Studien der Universität Graz sollen die Wirksamkeit der probiotischen Bakterienstämme gegen unterschiedlichste Beschwerden bestätigen. Doch diese Studien hat das Institut AllergoSan zum Teil unterstützt und mitfinanziert. Auf Nachfrage teilt die Universität mit, es handele sich hier um ergebnisoffene Langzeitstudien.
Außerdem schreibt die Universität: "Alle gesetzlichen Vorgaben wurden und werden auch bei allen Forschungsprojekten im Zusammenhang mit dem Institut AllergoSan strikt eingehalten. Es bestehen keine Interessenskonflikte hinsichtlich der wissenschaftlichen Unabhängigkeit."
Professor Sturm kritisiert die Aussagekraft vieler Studien.
Probiotika nur in besonderen Fällen empfehlenswert
Der Chefarzt verschreibt Probiotika nur in ganz bestimmten Fällen, etwa bei Patientinnen und Patienten mit Reizdarmsyndrom, bei Blähungen oder bei Problemen mit Luft im Magen. "In den meisten Fällen werden aber Probiotika unnötig eingesetzt. Und bei schwerkranken Patienten können die großen Mengen an Bakterien sogar zu Komplikationen führen."
Professor Sturm empfiehlt, bei schweren Darmentzündungen, Bauchspeicheldrüsenentzündungen oder auch bei Krebsformen, sollte man nicht unbedingt Probiotika einnehmen, weil der Körper mit der hohen Bakterienzahl möglicherweise nicht gut zurechtkommt.
Verbraucherschützer sehen Probiotika als Nahrungsergänzungsmittel
Nahrungsergänzungsmittel kommen oft in Pillen- und Pulverform daher. "Das ähnelt Arzneimitteln - aber juristisch gesehen sind Nahrungsergänzungsmittel Lebensmittel. Im Gegensatz zu den Arzneimitteln werden diese nicht vorab geprüft, ob sie sicher sind, ob die Dosierungen stimmen und ob sie wirksam sind", sagt Susanne Umbach von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz.
Probiotische Lebensmittel: Keine Werbung mit Gesundheit - und die Tricks
Auf Grundlage der sogenannten EU Health Claims-Verordnung dürfen Hersteller von probiotischen Lebensmitteln keinen gesundheitlichen Nutzen ihrer Produkte versprechen. Doch viele Unternehmen umgingen dies mit einem Trick, sagt Susanne Umbach. Damit der Hersteller mit gesundheitsbezogenen Aussagen werben darf, werden Vitamine oder Mineralstoffe zugesetzt, für die bestimmte gesundheitsbezogene Aussagen dann erlaubt sind.
Immer wieder landen Werbeaussagen von Herstellern vor Gericht. So untersagte das Berliner Kammergericht im Jahr 2018 einem Hersteller die Bezeichnung eines Produkts mit dem Wort "Stress" im Namen, weil es sich, nach Wertung des Gerichts, um eine unzulässige, gesundheitsbezogene Aussage handelt.
Probiotika sind eher ein Riesenmarkt, der ordentlich die Kassen klingeln lässt und viele Kunden anzieht. Doch in den meisten Fällen kann man sich das Geld für solche Präparate getrost sparen.