Folge 959

Vom Blauen Nil ans Rote Meer

Stand
Autor/in
Rüdiger Lorenz

In Khartum, der Hauptstadt des Sudan, vereinen sich der Weiße und der Blaue Nil. Fünf Millionen Menschen leben hier, 40 Millionen im ganzen Land. Seit kurzem sind die Sudanesen wieder Eisenbahnfreaks, seit auf zwei Strecken, neue chinesische Triebwagen fahren. Aus der Volksrepublik kommen auch die wenigen Diesellokomotiven, die die Güterzüge aus der Hafenstadt Port-Sudan am Roten Meer über die 850 km Distanz in die Metropole schleppen. Eine über hundert jährige Eisenbahntradition und eines der längsten Schienennetze Afrikas könnten eine gute Voraussetzung sein, die Entwicklung des Landes voranzubringen. Doch die Realität sieht anders aus. Fünf Wochen lang war das Eisenbahn-Romantik-Team auf Schienen und Wüstenpisten unterwegs, um der Frage nachzugehen, warum im Sudan die meisten Züge stehen statt zu fahren.

Ursprünglich kamen alle Lokomotiven aus USA oder Europa, auch vierzig Henschel-Diesellokomotiven. Nur zehn davon sind noch betriebsfähig. Der Vizedirektor der Bahn spricht das Problem direkt an: Die Kooperation mit Deutschland und den anderen europäischen Ländern scheiterte an den Sanktionen. Alle sind von Amerika beeinflusst. Dabei könnte unsere Bahn eine der leistungsfähigsten werden. Wir haben eine große Vision. Die Eisenbahn als modernes Transportmittel für die ganze Region. Es sind vor allem Ersatzteile die fehlen. Hunderte Lokomotiven stehen in den Betriebswerken und können, trotz vorhandenem Knowhow, nicht repariert werden. Tausende ungenutzter Wagons säumen die Strecken. Nicht den Mächtigen schadet das Embargo, es sind die normalen Bürger, die es trifft.

Mit dem ‚Al Nil‘ dem neuen ‚Schnellzug‘, mit maximal 70 km/h, wegen der Kamele und Viehherden, geht es durch die Wüste nach Atbara. Hier ist das Zentrum der sudanesischen Bahn, hier war einst das größte Betriebswerk Afrikas. Riesige Hallen, noch aus der Kolonialzeit. Gerade werden Radsätze aufgearbeitet, neue Reifen aufgezogen. In einer Ecke stehen zwei Kessel, bei näherem Hinsehen entpuppen sie sich als die letzten Zeugen der längst vergangenen Dampflokära. Auf einem achtzig Jahre alten Film, den das SWR-Team in einem Archiv entdeckte, sind die Loks noch voll unter Dampf zu sehen.
Die Mitfahrt mit einem Güterzug von Port Sudan hinauf ins Gebirge nach Summit auf 900 Meter, ist der Höhepunkt der Reise. Beim Beladen im Hafen läuft noch alles händisch. Ein Massengutfrachter aus Indien mit Zucker hat angelegt. Mit 25 km/h müht sich die Lok die 15 Promille Steigung hoch. Es ist eine beeindruckende Gegend. Ich mag meine Arbeit. An manche Orte kommt man nur mit der Bahn. Ich hoffe, für die nächste Generation, dass es wieder mehr Züge gibt, damit sie diese Landschaft kennenlernen können. Ob der Wunsch des Lokführers bald in Erfüllung geht? Seit über zehn Jahren fahren auf der Strecke keine Personenzüge mehr, nur Güterzüge, wie seit 100 Jahren, vom Blauen Nil ans Rote Meer und zurück.

(ESD: 22.03.2019)

Stand
Autor/in
Rüdiger Lorenz