Folge 966

Trambahnen und Schmugglerzüge in Äthiopien

Stand
Autor/in
Rüdiger Lorenz

Äthiopien ist anders. Es gibt noch die Armut, aber Äthiopien hat gleichzeitig mit das höchste Wirtschaftswachstum in Afrika. Karl Heinz Böhm war gestern, das Heute bestimmen die Äthiopier selbst, und die Chinesen. Die haben das Potential erkannt, das in diesem bevölkerungsreichen Land (100 Mill. Einwohner) steckt. Während Europa seine Chance verschläft, arbeiten Chinesen und auch Türken an gigantischen Infrastrukturmaßnahmen, vor allem auf dem Bahnsektor.

Das Eisenbahn-Romantik Team war vier Wochen in diesem gegensätzlichen Land unterwegs: Zwischen dem Stadtstaat Djibouti am Golf von Aden und der auf 2400 Meter Höhe gelegenen Hauptstadt Addis Abeba, auf der modernsten Bahnlinie Afrikas, 800 Km voll elektrifiziert. Mit Schmugglern im letzten Zug der alten Kaiserlichen Bahn von Dire Dawa durch die Wüste an die Grenze Richtung Norden und mit der Straßenbahn von Kaliti bis Menelik II.

Öffentlicher Nahverkehr in Afrika ein Novum. Die Fünf Millionen-Metropole Addis leidet unter unvorstellbarem Smog. Eine erste Konsequenz, zwei Trambahnlinien. Sie sind ideal um die Stadt zu erkunden: Die Kathedrale, das Nationalmuseum mit einem der ältesten menschlichen Skelette, ‚Fin Fin‘ ein traditionelles Lokal und natürlich das Eisenbahnmuseum mit dem Hofzug von Kaiser Haile Selassie. Bei Gesprächen mit Fahrgästen und mit einer Trambahnfahrerin kommt die Begeisterung für das neue Verkehrsmittel rüber.

Nach einer Woche endlich die Reise mit dem modernen Schnellzug, fahrplanmäßig täglich, war er vorübergehend für Flüchtlingstransporte von der somalischen Grenze her eingesetzt. Im Gegensatz zur Tram läuft die Eisenbahn noch überwiegend unter chinesischer Regie. In der Leitzentrale, im Führerstand, selbst der Oberschaffner, alles Chinesen. Wir stellen fest, dass vor dem Personenverkehr der Gütertransport Vorrang hat. Jeden Tag verlassen Züge mit 150 und mehr Containern den Hafen von Djibouti Richtung Addis. Keine der Straßen durchs Gebirge könnte den stetig wachsenden Warenfluss bewältigen.

Der Schmugglerzug fährt einmal die Woche. Die Existenz der meisten Passagiere hängt von ihm ab: Der Zug ist wie ein Teil meiner Familie. Er versorgt uns wie eine Mutter. Er bringt Nudeln, Salz, Makkaroni, Speiseöl, dafür bringe ich Obst, Kartoffeln und Kat nach Djibouti. Die Diesellok, die die klapprigen Wagons durch die Wüste schleppt ist eine französische Alsthom aus den 70er Jahren. Für die Ingenieure im Betriebswerk Dire Dawa ist es eine Herausforderung die Maschinen am Laufen zu halten. Für Ersatzteile fehlt das Geld, alles fließt in die neue Bahn. Die alte Strecke, die vor über hundert Jahren von Kaiser Menelik II gebaut wurde und die mit ihren vielen Stationen ganz nah an den Menschen war, hat keine Zukunft.

(ESD: 17.05.2019)

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Autor/in
Rüdiger Lorenz