"10 Uhr schlug es von dem alten Kirchturm - 10 Uhr. Die Luft stand still; die Bäume rührten kein Blatt - alles ruhte. Helle Nächte...."
So, wie Kurt Tucholsky in seiner gleichnamiger Erzählung Schloss Gripsholm beschreibt, haben wir es auf unserer Reise zur Mitternachts-Sonne erlebt. Schloss Gripsholm, das man von der Museums-Eisenbahn Östra Södermanland aus bewundern kann, ist eine Station.
Die alte Straßenbahn von Stockholm eine weitere.
Nicht zu vergessen das älteste Eisenbahnmuseum Schwedens in Gävle von 1915 mit zahllosen Ausstellungsstücken und einer umfangreichen Dokumentation der schwedischen Eisenbahn, die Fahrt mit der Königslok F 1200 und das "Schaukeln mit Gebrumm" im limonengelben Schienenbus des Norrbotten Järnväg Museums von Lulea.
Reisetagebuch Polarkreis-Express
Unsere Fahrt in den Hohen Norden hat alle Mitreisenden mitgerissen und begeistert. In unserem Reisetagebuch lesen Sie alles über dreiste Trolle, einmalige Naturschönheiten, seltene Lokomotiven und mitternächtliche Abenteuer.
Tag 1: Anreise Stuttgart - Saßnitz und Überfahrt
Tag 2: Trelleborg - Stockholm
Tag 3: Stockholm - Gävle - Fahrt durch Mittelschweden nach Lappland
Tag 4: Boden - Gällivare
Tag 5: Gällivare - Narvik (Norwegen)
Tag 6: Narvik - Arvidsjaur
Tag 7: Arvidsjaur - Östersund - Mora
Tag 8: Mora - Örebro
Tag 9: Örebro - Göteborg
Tage 10 und 11: Göteborg - Malmö - Stuttgart
9. Juli
Unsere Reise zur Mitternachtssonne beginnt mit einem Schreck in der Morgenstunde: Unsere Redakteurin Susanne Mayer hatte das zweifelhafte Vergnügen, mit so großer Verspätung in Stuttgart einzutrudeln, dass sie nur noch die Rücklichter unseres Polarkreis-Expresses in der Ferne funkeln sah. Der Regionalexpress aus Reutlingen hatte mit diversen Problemen zu kämpfen gehabt, bei denen die Pünktlichkeit auf der Strecke geblieben war. Die DB reagierte aber prompt und setzte Susanne und einen weiteren verspäteten Fahrgast in den ICE nach Fulda. Dort gab es ein freudiges Wiedersehen mit dem restlichen Eisenbahn-Romantik-Team.
Eine Überraschung ist auch die Zuglok unseres Polarkreis-Expresses. Es handelt sich um den Taurus, aber nicht in den Farben der ÖBB, sondern im gelb-grünen Anstrich der österreichisch-ungarischen Eisenbahn-Gesellschaft GySEV.
Nach 1.000 km Reise erreichen wir um 21.30 Uhr den Fährhafen Saßnitz auf der Insel Rügen. Dort wird unser Zug auf die Eisenbahnfähre nach Trelleborg geschoben.
10. Juli
10. Juli: Trelleborg - Stockholm
Der Tag beginnt auf dem Meer, auf der Ostsee zwischen Saßnitz und Trelleborg, das wir gegen zwei Uhr morgens erreichen. Die Fahrgäste ruhen im Schlaf- bzw. im Liegewagen und träumen dem neuen Morgen entgegen.
Gegen 9.30 Uhr erreichen wir auf der Neubaustrecke in Richtung Stockholm Läggesta-övre. Hier ist der normalspurige Tag zu Ende. Alle 127 Fahrgäste pilgern zum einige Meter tiefer liegenden Bahnhof Läggesta-nedre, Endpunkt der 600-Millimeter-Schmalspurbahn Östra Södermanland Järnväg, zu deutsch "östliche Södermanland-Eisenbahn". Es handelt sich dabei um eine knapp vier Kilometer lange Schmalspurbahn, die vor einigen Jahren aus einer stillgelegten Normalspurbahn hervorging.
Vier Dampfloks und neun Zugpaare, Personenzüge, Güterzüge und GmPs machen den Tag zu einem Erlebnis, zu einem wahren Dampfeisenbahn-Spieltag.
Jeder Reiseteilnehmer erhält eine Fahrkarte, mit der er beliebig oft in jede Richtung fahren und mit der er an jeder Haltestelle die Fahrt unterbrechen kann.
Zuvor lädt Schloss Gripsholm mit seinen mächtigen Backsteintürmen und berühmt geworden durch den Roman von Kurt Tucholsky zu einem Besuch ein. Der Fußweg vom Bahnhof zum Schloss dauert nicht einmal fünf Minuten.
Nach diesem Erlebnis ist der Tagesausklang auf einem fast einhundert Jahre alten Dampfschiff eine willkommene Entlastung.
In gut drei Stunden dampfen wir mit "Mariefred" von Mariefred nach Stockholm. Bei traumhaftem Wetter geht es über den Mälarensee. Vorbei an Inseln und bewaldeten Ufern, gesäumt von einsamen, malerischen Holzhäusern.
Die Einfahrt in Schwedens Hauptstadt auf dem Wasser ist ein Erlebnis. Zurecht wird Stockholm auch das "Venedig des Nordens" genannt.
11. Juli
Der erste Programmpunkt an diesem Morgen beginnt kurz nach acht Uhr. Auf drei Busse verteilt starten wir bei strahlend blauem Himmel zu einer Sightseeing-Tour durch Stockholm.
Anschließend haben wir das Vergnügen, in einem Oldtimer aus dem Jahr 1903 mit zwei Beiwagen auf normalspurigen Gleisen durch Schwedens Metropole zu rumpeln.
Wir sind Gäste des Stockholmer Straßenbahnvereins. Seit der Umstellung Schwedens von Links- auf Rechtsverkehr findet man in Schwedens Städten so gut wie keine Straßenbahnen mehr. Dank des Engagements dieses Vereins kann man Stockholm wie in der "guten alten Zeit" erleben: Auf offenen Perons und an Fenstern zum Öffnen.
Abgerundet wird der Vormittag mit einer Besichtigung des Depots und seiner stattlichen Sammlung von historischen Straßenbahnwagen.
Um 12.30 Uhr verlässt unser Sonderzug den Stockholmer Hauptbahnhof in Richtung Gävle. Zuglok ist die E-Lok Rc 6 - allerdings nur zwei Drittel des Weges. Denn in Tierp wird sie von Schwedens größter und stärkster Dampflokomotive abgelöst, der Königslok F 1200. Sie zog einst den Zug, wenn König Gustav-Adolf V auf Reisen ging. Die Vierzylinder-Verbundlok ist Jahrgang 1914 und in bestem Zustand. 100 Stundenkilometer erreicht sie noch heute spielend. Heute gehört sie dem Eisenbahnmuseum in Gävle.
Passend zu unserem Dampfross steigen wir hier auch in drei wunderschöne schwedenrote Schnellzugwagen der 30er Jahre um.
Später genießen wir die Gastfreundschaft des schwedischen Eisenbahnmuseums Gävle. Das Museum wurde schon 1915 gegründet und beeindruckt mit einer unglaublichen Vielfalt an Fahrzeugen in teilweise biblischem Alter. Nicht weniger faszinierend ist die übersichtliche Aufbereitung der schwedischen Bahngeschichte seit 1856 mit Dioramen, Fahrkarten, Bildern etc.
Ein etwas verspätetes Mittsommer-Grillfest mit Tanz und Musik rundet unseren Museumsbesuch ab.
20.10 Uhr: Noch steht die Sonne hoch am Himmel, es ist ein glockenheller Tag. Und das wird auch noch einige Stunden so bleiben. Unser Sonderzug, nun wieder elektrisch gezogen, ist unterwegs in den Norden, der Mitternachtssonne entgegen.
12. Juli
Es beginnt mit zwei unerwarteten Weckrufen. Der erste erfolgt gegen 3.00 Uhr am frühen Morgen. Eine Elchkuh hat es sich auf den Gleisen gemütlich gemacht und ist nur durch ein beharrliches Pfeifkonzert des Lokführers zu bewegen, dasselbe zu verlassen. Allerdings ziemlich widerwillig. Von wegen "Elch und weg"!
Kurz nach 4.00 Uhr klingelt das Handy: Unser Kamera-Außenteam hat uns verloren! Die Kollegen warteten kurz vor Vännäs. Doch nichts tat sich. Kein Zug donnerte zum angegebenen Termin gen Norden. Schließlich des Rätsels Lösung: Die Strecke war neu trassiert worden, was aber unsere Karte noch nicht anzeigte. Das Team hatte an der falschen Stelle gewartet, unser Sonderzug ist längst im Morgengrauen entschwunden.
Der optische Schaden hält sich jedoch in Grenzen. Der eigentliche Tagesanbruch präsentiert sich grau und trüb.
Das nordschwedische Lulea, ein bedeutender Erzhafen, erwartet uns mit Regen.
Für uns alles halb so wild, denn unser Ziel ist das Norbotten-Eisenbahn-Museum. Es handelt sich dabei, so die Eigenwerbung, um das einzige Erzwagenmuseum der Welt, aufgebaut im stillgelegten Bahnhof von Karlsvikshyttan. Zahlreiche Ausstellungsstücke im Freigelände und in Hallen verweisen auf eine "erzreiche" Vergangenheit.
Ein limonengelber Schienenbus von 1936 bringt uns vom Museum zum Haltepunkt Gammelstad (Altstadt von Lulea). Leider fällt der Besuch dieses Freilichtmuseums buchstäblich ins Wasser: Es schüttet wie aus Kübeln.
Am Nachmittag steht ein Besuch der LKAB auf dem Programm, Schwedens bedeutendstem Erzabbau-Unternehmen. Nach einer kurzen Busrundfahrt durch den neuen Verladehafen besteigen wir wieder unseren Polarkreis-Express, der seinem Namen nun wirklich alle Ehre macht:
Gegen 17.30 Uhr erreichen wir ihn, den "Polcirkeln", den nördlichen Wendekreis!
Zwei Stunden später erreichen wir unser Tagesziel Gällivare.
Bustransfer ins Hotel "Dundret-Resort", das in einem herrlichen Naturreservat liegt. Statt Zimmer gibt’s hier gemütliche Hütten zum Übernachten.
13. Juli:
Der Tag beginnt, wie der vorherige endete: mit Regen.
Reiseziel an diesem Vormittag ist Kiruna. Es gibt ein paar Minuten Verspätung, weil unser Sonderzug das sonst eher betuliche Treiben im Bahnhof ein wenig durcheinander bringt.
Nach unserer Ankunft geht es als erstes einige hundert Meter unter die Erde zu Schnittchen, Videoshow, Pellets in Tütchen und zahllosen Informationen: Wir besichtigen die größte Untertag-Erzmine der Welt.
Es folgt ein weiteres Ereignis der Superlative bzw. eine Weltpremiere: Vor der Lokwerkstatt der LKAB präsentiert die Firma Roco ihr Modell des schwedischen E-Lok-Klassikers Dm 3, wobei Modell wie auch Vorbild bei den Zuschauern gleichermaßen Begeisterung hervorrufen. Und wie auf Bestellung lugt die Sonne hervor. Was für ein Glück!
Mit Sonnenschein im Gepäck und einigen Unterbrechungen geht es am Nachmittag Richtung Narvik. Die Landschaft wird immer spektakulärer, und in Vassijaure wartet das historische Elektrizitätswerk auf uns.
Dort haben wir einen Lokwechsel, nämlich von einer Stangenlok Da auf die NoHAB 3.269, den Klassiker im grünen Gewand der norwegischen Ofotenbahn.
Schließlich geht es auf einer herrlichen Bergstrecke weiter über die Grenze nach Norwegen, dann entlang des tiefblauen Fjordes "Rombaksbotn" durch eine atemberaubende Landschaft. Ankunft in Narvik kurz vor 22 Uhr - bei Sonnenschein.
Und die Sonne scheint immer noch, als gut eine Stunde später ein Großteil der Fahrgäste in der Seilbahn sitzt, die auf das Fagernesfjell hinaufführt. Von dort hat man einen traumhaften Ausblick auf Narvik und den Ofjotfjord.
Von Nacht ist um 1.00 Uhr morgens weit und breit nichts zu sehen, dafür Federball spielende Jugendliche, ein Jogger, Straßenarbeiter. Dazu der betörende Duft blühender Fliederbüsche und Pfingstrosen in den Gärten. Und einige Touristen fotografierten um diese Zeit - Lokomotiven, was sonst?
14. Juli
Halbzeit unserer Reise. Der Tag beginnt mit Sonnenschein lange vor dem Aufstehen. Abfahrtstermin unseres Zuges - ein Regelzug der Firma Connex, die seit einigen Wochen den Betrieb zwischen Kiruna und Narvik übernommen hat - 10.25 Uhr. Da Bauarbeiten an der Strecke den Fahrplan tüchtig durcheinandergewirbelt haben, kommen wir erst kurz vor "High Noon" in die Gänge.
Sonnenschein und tiefblauer Himmel begleiten uns während des gesamten Fahrtages. Es sind immerhin fast zwölf Stunden, die wir auf Rädern verbringen. Für Kiruna-Gällivare benötigt der Stundenzeiger der Uhr vier Umdrehungen, inklusive einer Stunde Verspätung.
Die anschließende Fahrt im Sondertriebwagen der Inlandsbahn von Gällivare nach Arvidsjaur dauert knapp sieben Stunden. Einige Kilometer hinter Gällivare erfolgt der erste Halt auf der Inlandsbahn. Eine Hütte direkt am Gleis mit einer großen hölzernen Mücke am Dachfirst und eine Dame am Eingang mit einer Art Imker-Netz um den Kopf verkünden den erstaunten Reisenden, dass man hier vor dem einzigen Mückenmuseum Europas stehe.
Eine humorvolle Darstellung der Mücke und einige ernsthafte Informationen über die unterschiedlichen Arten des Schutzes gegen die kleinen Blutsauger sind in dem winzigen Gebäude zu sehen. Nach diesem Kurzausflug in die Tierwelt machen wir schnell die Mücke ...
... um einige Minuten später in eine Sagenwelt einzutauchen: Auf einem Felsen im Fluss Pakko Fors spielt ein spärlich bekleideter Herr auf seiner Geige. Ein schwedischer Troll namens Näcken, der versucht, mit seinem Spiel die Frauen im Zug zu betören und in sein Reich hinunter zu ziehen. Eine männliche, schwedische Loreley.
Doch ehe sich die ersten Frauen in die Tiefe stürzen können, fährt der Zug weiter ...
... zum Polarkreis, dem meistfotografierten Haltepunkt auf der Inlandsbahn.
Es ist gleichzeitig auch der Abschied vom Nordland und der Mitternachtssonne.
Die scheint nämlich nicht mehr, als wir kurz nach Mitternacht in Arvidsjaur eintreffen. Aber hell bleibt es trotzdem die ganze Nacht. Sonnenaufgang kurz nach zwei Uhr ...
15. Juli
Für die meisten Fahrgäste ist es nicht ganz einfach, um 6.30 Uhr am Kaffeetisch zu erscheinen. Die taghellen Nächte fordern langsam ihren Tribut, Schlafdefizit allerorten. Da dies aber die letzte Nacht auf unserer Sonderfahrt ist, in der es überhaupt nicht dunkel wird, gibt es einige Unentwegte, die um zwei Uhr nachts noch ein Sonnenbad nehmen wollen.
Um acht Uhr steht der Dampfsonderzug bereit nach Slagnäs, knapp 50 Kilometer von Arvidsjaur entfernt. Die Lok - mit Achsfolge 1D und innen liegendem Triebwerk - hat sechs Wagen am Haken.
Auf der Hinfahrt geht es mit dem Tender voraus. Deshalb wird zuerst einmal die Landschaft auf geeignete Fotostandpunkte "abgeklopft", wobei schnell klar wird, dass die Scheinanfahrten auf der Rückfahrt knapp gesät sein dürften, denn die vielen Bäume gestatten nur selten einen freien Blick auf die Gleise. Und wenn doch, ist der Boden so morastig, dass ein Betreten zwangsläufig zu nassen Füssen führen muss.
Trotzdem kommen die Fotografen voll auf ihre Kosten: vier Scheinanfahrten werden durchgeführt - vor einer Traumkulisse.
Nach gut vier Stunden ist das Dampfspektakel beim Museumsbahnverein Arvidsjaur zu Ende.
Mit einem dreiteiligen Triebwagen-Zug setzen wir unseren Weg auf der Inlandsbahn fort: von Gällivare bis Östersund sollen es mehr als 730 Kilometer werden - eine endlose Galerie von atemberaubenden Naturschönheiten.
Ankunft in Östersund gegen 21.30 Uhr. Hier erwartet uns unser wohl temperierter Sonderzug: In den Abteilen herrschen an die 40 Grad.
Kurz vor Mitternacht geht es weiter Richtung Mora.
Wer noch nicht schlafen will, kann den Sonnenunter- bzw. Aufgang betrachten. Dazwischen liegen nur wenige Minuten.
16. Juli
Der Morgen beginnt etwas flau: Zur "Scheinanfahrt für Frühaufsteher" um 4 Uhr findet sich nicht ein einziger Fahrgast ein. Dabei muss es ein tolles Motiv gewesen sein: Unser Sonderzug, gezogen von der roten NoHAB 1014 der IBAB auf einer Gitterbrücke in der Morgensonne. Nur der IGE-Mitarbeiter Markus lichtet mutterseelenallein dieses Motiv ab.
Ankunft in Mora um 7 Uhr. Hier schließlich klettern die Passagiere aus ihren Schlaf- und Liegewagen.
Lokwechsel von der Diesellok auf eine Da des schwedischen Museumsbahn-Vereins Gefle-Dala-Järnväger in Falurn.
Um 9 Uhr ist Abfahrt unseres Sonderzuges nach Ludvika. Dort wird die E-Lok von zwei Dampfrössern des Grängesberg Lokomotivmuseums abgelöst. Die Zugmaschinen M3 und Vorspannlok M3a haben mächtig zu arbeiten, teilweise bis an den Grenzlast-Bereich. Auf einer Streckenlänge von 12 Kilometern müssen fast 150 Höhenmeter überwunden werden - maximale Steigung von 17 Promill - und am Haken hängen knapp 450 Tonnen. Auf Scheinanfahrten wird deshalb verzichtet. Die Gefahr, dass uns die Lok nach einem Halt nicht mehr von der Stelle bringt, ist einfach zu groß.
In Grängesberg wird uns Technik-Geschichte präsentiert. Herausragend, aber leider nicht einsatzfähig: Die beiden Dampfturbinenlokomotiven. Exoten in der Welt der Dampftraktion. Schade, dass nicht wenigstens ein Exemplar unter Dampf steht. Aber dennoch sind diese Anfang der 30er Jahre bei NoHAB gebauten Loks eine Augenweide.
Eine kleine Lokparade mit den beiden Loks M3 und M3a entschädigt uns ein wenig. Mit Karacho jagen die Lokführer die Maschinen an den Fotografen vorbei. Höhepunkt ist eine Parallelfahrt mit Höllenlärm.
Am späten Nachmittag geht unsere Reise nach Örebro. Vor unserem Sonderzug ein Exemplar aus der Reihe Bt, eine olivgrüne E-Lok aus den 50er Jahren aus Grängesberg. Leider hat sich die Strecken-Belegung in Form von Güterzügen und einigen Triebwagen negativ auf unseren Fahrplan ausgewirkt: Wir treffen mit ziemlicher Verspätung an unserem Tagesziel Örebro ein.
Nach diesem heißen Tag - die Temperaturen kletterten auf bis zu 35 Grad - sind eine Dusche und ein kühles Schwedenbier das einzige, was eines Sonderzugfahrgastes Herz begehrt.
17. Juli
Die hellen Nächte hinterlassen ihre Spuren. Es fällt immer schwerer, morgens topfit am Frühstückstisch zu erscheinen. Aber einige Scheiben Smörebröd und eine große Tasse Kaffee, und die Lebensgeister kehren gehorsam zurück. Rechzeitig genug, um auf dem Bahnhof Örebro die Dampflok Nummer 1306 auf Film bzw. den Chip zu bannen. Heute soll es zur Wiege der schwedischen Eisenbahn gehen. Sie liegt in der erzreichen Region Bergslagen.
7.50 Uhr pfeift der historische Dampfsonderzug der Nora Bergslag Veteran-Järnväg zur Abfahrt. Er versetzt die Reisenden in eine Zeit, als Plüschsitze in der 1. Klasse noch zum Standard gehörten.
Nach einer Stunde sind wir in Nora, dem Herzstück der Nora-Bergslag-Museumsbahn. Das Stations-Gebäude ist ein Traum in rotem Backstein. Lokschuppen und Drehscheibe sind trotz ihres hohen Alters in bestem Zustand.
Unser Programm ist angefüllt mit Führungen, Fahrten und Besichtigungen. Und einem Ausflug in die Geschichte: In Pershyttan steht ein vollständig erhaltenes Holzkohle-Schmelzwerk, bei dessen Besuch die Vergangenheit lebendig wird. Und bei dem offensichtlich wird, welch harte Arbeit die Mitarbeiter in solch einem Berg zu verrichten hatten.
Insgesamt ist dieser Sonnen-Tag eine gelungene Mischung aus Technik, Geschichte und Natur. Die Mitarbeiter der Museums-Eisenbahn haben für uns nicht nur ein tolles Programm zusammengestellt, sondern sie haben uns auch rundum betreut.
In Schwedens zweitgrößter Stadt Göteborg endet unser Tag. Und - völlig ungewohnt - gegen 23 Uhr ist es wieder stockdunkel. Die Mitternachtssonne hat ihre Strahlkraft verloren.
18. und 19. Juli
Der Tag in Göteborg beginnt mit einer Stadtrundfahrt in einem Straßenbahn-Oldtimer aus dem Jahr 1928 mit anschließendem Besuch des Depots. Letzte Station am Vormittag ist eine Miniaturwelt in Spur 0 von knapp 20 Metern Länge und fünf Metern Breite, bei der alle Gebäude und Fahrzeuge selbst gebaut worden sind. - Schweden, wie aus dem Bilderbuch.
Auf dieser Anlage mit ihrer Gleis-Länge von mehr als 800 Metern drehen Züge ihre Runden, wie wir sie selbst auf unserer Reise zur Mitternachtssonne benutzt oder zumindest fotografiert haben. Da war beispielsweise die E-Lok Da unterwegs, Schnellzugwagen der 30er Jahre, die orangefarbenen Schienenbus-Oldtimer der Inlandsbahnen oder der zweiachsige Stockholmer Straßenbahnwagen. Eine eindrucksvolle Modellwelt, für deren vollständige Bedienung elf Personen notwendig sind.
Von Gleis 4 des Göteborger Hauptbahnhofes startet kurz nach 12 Uhr ein Sonderzug in Richtung Westen, gezogen von einer Stangen-Diesellok. Während die Hinfahrt noch einigermaßen trocken verläuft, schüttet es auf der Rückfahrt wie aus Kübeln, so dass die Fahrgäste sogar freiwillig auf Fotohalte verzichten.
Am Nachmittag sind wir auf der Anten-Gräfsnäs Järnväg zu Gast. Sie ist zwölf Kilometer lang und nur noch ein kümmerlicher Rest des einstmals längsten Schmalspur-Netzes Schwedens mit einer Spurbreite von 891 mm. Die Fahrzeuge machen einen sehr gepflegten Eindruck, und unsere Dampflok mit der Achsfolge 2C sieht aus wie eine etwas geschrumpfte alte Preußin.
Einen historischen Moment erleben wir kurz vor der Rückkehr in den Bahnhof Anten. Dort wird unsere Reise abrupt unterbrochen. Ein Blitz hat zwei Bäume zu Fall gebracht und diese quer übers Gleis gelegt.
Aber dieser Schreck in der Nachmittagsstunde legt sich relativ schnell. Einige Mitarbeiter kommen uns vom Bahnhof mit einer Diesellok entgegen und machen wenig später mit dem Hindernis kurzen Prozess. Der Kettensäge sei Dank.
Der Rest des Tages verläuft ohne Fällarbeiten.
Nach einem Abschluss-Abendessen in der Fahrzeughalle von Anten steigen wir gegen 21 Uhr wieder in unseren Sonderzug, der uns in einer 23-stündigen Fahrt zurück nach Stuttgart bringt.
(ESD: 12.10.2003)