Folge 593

"Großes Dampflokfinale in China" – Reisetagebuch

Stand
Autor/in
Hagen von Ortloff
Hagen von Ortloff

Die 1995 eröffnete Ji-Tong-Linie in der Inneren Mongolei hat sich innerhalb eines Jahrzehnts bei Eisenbahnfreunden in aller Welt einen fast magischen Ruf erworben.

1.Tag: Samstag, 12. November 2005

Nach Ankunft auf dem Pekinger Flughafen, sind wird durch die chinesische Hauptstadt gefahren, um in den Außenbezirken eine aufgelassene Firma zu besuchen, in der Kalksteine gebrochen werden. Dabei wird das Material auf 712 Millimeter breiten Gleisen abtransportiert. In Kipploren. Gezogen von Dampflokomotiven. Die Firma im Pekinger Vorort Dahuichang wurde allerdings im Juni 2005 geschlossen, der Zugbetrieb war überflüssig geworden. Ein Dampfross hat man extra für unseren Besuch noch einmal unter Dampf gesetzt, um einen Nachmittag lang auf einem gut ein Kilometer langen Streckenstück hin- und her zu fahren. Das Dampfross machte einen unglücklicheren Eindruck, als die meisten Gäste. Denen gefiel das "Spielen mit der Eisenbahn". Die Tatsache dass die Lok ihre beste Zeit längst hinter sich hat, war überdeutlich zu erkennen und dass der Weg zum Schneidbrenner unwiderruflich scheint, ebenfalls.

Führerstandsfahrt
Führerstandsmitfahrt

Aber die Lok verrichtete brav ihren Dienst und wer von den Gästen es wollte, durfte auf dem Führerstand mitfahren und auf Wunsch sogar den Regler selbst betätigen. Am Spätnachmittag erfolgte die Rückfahrt nach Peking, Abendessen und Fahrt mit dem Nachtzug K 95 nach Shenyang, Abfahrt 22.50 Uhr, Ankunft 7.28 Uhr. Eine ruhige, angenehme Fahrt, die ruhig ein Stündlein länger hätte gehen können.

2. Tag: Sonntag 13. November 2005

Nach der Ankunft in Shenyang Umsteigen auf den Bus und Weiterfahrt in das Kohlegebiet von Tiefa. Dauer knapp zwei Stunden. Dann erneutes Umsteigen, diesmal in den Sonderzug, gezogen und geschoben von einem Dampfross. Ausgangspunkt der Fahrt ist Diaobingshan.
Vorn das einzig verbliebene Exemplar einer KD 6, eine 1D-Lok. Am Zugende, mit dem Tender in Fahrtrichtung, also im Schlepp, YJ 269. Eine 1C1 Lok, sehr gepflegt, mit glänzenden roten Schildern und goldenen Schriftzeichen. Dazwischen drei vierachsige Wagen. Eine komplett aufgearbeitete Holzklasse, ein Barwagen und ein Wagen mit Kunststoffsitzen und einem Dieselmotor für die Zugheizung.

Im Bahnhof von Diaobingshan, in dem vor einem Viertel Jahr noch ausschließlich Dampfrösser anzutreffen waren, hat der Fortschritt seine Aufwartung gemacht. Die Züge fahren fast ausschließlich mit Dieselloks. Nach dem Motto "Locomotive Retired Gloriously, but alive in tourism". Frei übersetzt, die Dampflok hat ihre Schuldigkeit getan, sie darf sich aber ihr Gnadenbrot vor Museumszügen verdienen. Allein Lok SY 1767 stand bei unserem Besuch als Reserve unter Dampf.

3. Tag: Montag, 14. November 2005

Die Stecke von Diaobingshan nach Fuxin musste im Bus zurückgelegt werden. Gut vier Stunden Fahrzeit, mit viel Geschaukel, Schlaglöchern, Hupen und Blicke auf Ortschaften an der Straße ließen die Zeit recht flott vergehen. In Fuxin war als erste Aktion "Warten an der Bahnschranke" angesagt, denn es dauerte recht lange, bis der erste Dampfzug sich den staunenden Zuschauern präsentierte.

Kohlen-Mine Pingzhuang
Kohlen-Mine Pingzhuang

Nach dem Mittagessen, wie immer stand die chinesische Nudelterrine im Mittelpunkt, ging es zur Grubenbahn von Fuxin. Es handelt sich dabei um die größte Kohlengrube Chinas, die im Tagebau betrieben wird. Sie wurde 1953 eröffnet, ist 150 Quadratkilometer groß und über 300 Meter tief. Mit einer Dampflok vom Typ SY, zwei umgebauten Güterwagen und einem Begleitwagen sind wir in die Grube hinein gefahren. Dabei mussten insgesamt sechs Spitzkehren durchfahren werden, bis der unterste Punkt erreicht war. Es war nicht die tiefste Stelle der Grube, aber man konnte den Abbau, bzw. Verladearbeiten gut zuschauen.

Insgesamt eine durchaus sehenswerte Angelegenheiten, obwohl die Motive an diesem Nachmittag mehr technisch. Als romantisch ausgerichtet waren. Einzig ein Interview mit dem Manager der Grube kam nicht zustande. Der Grube scheint es wirtschaftlich nicht sonderlich gut gehen, denn der Manager durfte uns leider kein Interview geben. Insgesamt soll die monatliche Kohleförderung bei 30.000 Tonnen pro Monat liegen. Und die Wirtschaftlichkeit sehr zu wünschen übrig lassen. Wünschen wir der Grube und ihren neuen Museumsaktivitäten dennoch viel Erfolg und noch ein langes Bestehen.

4. Tag: Dienstag, 15. November 2005

Der Tag begann wie immer mit einem morgendlichen Dauerlauf. Eine halbe Stunde bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt, aber bereits mit der Aussicht auf einen sonnigen Tag. Dieser war sechs Stunden lang ausgefüllt mit einer Busfahrt nach Pingzhuang. Diese Stadt ist der Mittelpunkt einer Kohlebahn, die mit Elektro- aber auch mit Dampfloks betrieben wird. Eine große Abbaugrube mit zahllosen Gleisen und für uns frei zugängig. Die gut zwei Stunden vergingen wie im Flug, zumal sehr reger Verkehr herrschte. Zahllose Züge waren auf den einzelnen Streckenteilen unterwegs.

Eine interessante Beobachtung konnten wir an einem Kohlezug machen, der auf seine Ausfahrt wartete, zuvor aber -wahrscheinlich unerlaubten- Besuch erhielt von einigen Männern, die sich behände auf die Ladung geschwungen hatten und Kohlebrocken hinunter warfen. Unten warteten bereits einige Männer und Frauen mit Säcken, um das schwarze Gold abzutransportieren. In den Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg gab es bei uns auch dieses Phänomen. Man nannte es "fringsen" ... Es scheint allerdings ein geduldetes Verhalten zu sein.

Wir haben anschließend einen Besuch in einem kleinen Stellwerk gemacht. Dort ging es eng, aber recht lustig zu. Dennoch wurde ernsthaft gearbeitet, auch wenn viel mehr Leute dort anzutreffen waren, als zur Arbeit notwendig. Unser Besuch hatte sich schnell herumgesprochen, denn als wir eine zweite Fotostelle an der Grube besuchen wollten, hatte sich bereits der private Wachdienst gemeldet. Er wollte Geld. Da haben wir kurzerhand das Programm geändert, nicht zum Nachteil ...

Anschließend waren wir etwa eine Stunde mit dem Bus unterwegs, als uns ein Dampfzug begegnete. Diesen haben wir verfolgt und konnten ihn einige Male mit der Kamera stellen, bis Baumfällarbeiten die Verfolgungsjagd abrupt beendete. Da wir uns allerdings bereits in der Nähe des Bahnhofs von Jabushan befanden, trafen wir den Zug dort wieder. In Jabushan befindet sich ein großes Kraftwerk, dort ist auch das Ende der Strecke. Im Bahnhof konnten wir uns eine knappe Stunde lang an den Rangieraktivitäten erfreuen. Während der letzten Sonnenstrahlen und nach Sonnenuntergang waren mit 8250 und 8418 zwei Dampfrösser aus der Klasse JS im Einsatz. Die Loks des Typ JS sind 1D1 Maschinen, also Mikados. Wegen ihres Aussehens und dabei vor allem wegen ihrer großen Windleitbleche auch als kleine Schwester der QJs bezeichnet.

5. Tag: Mittwoch 16. November 2005

Nach knapp drei Stunden Busfahrt waren wir kurz vor unserem Ziel, dem Betriebswerk von Daban, als die Nachricht den Bus erreichte, auf der Strecke nach Chabuga befindet sich ein Güterzug. Der einzige an diesem Tag, der mit Dampf bespannt ist. Zwei QJs unter Volldampf, für manchen Eisenbahnfan hat in diesem Augenblick erst die Chinareise so richtig begonnen. Und für unsere Reisegruppe. Verteilt auf fünf Busse, eine Verfolgungsjagd. Noch vor Monaten hätte man sich entspannt an die Strecke gestellt, denn zwischen Daban und Chabuga waren die Züge recht häufig unterwegs, mindestens ein Zug war pro Stunde donnerte vor die Objektive der Fans. Unser Güterzug war wie gesagt mit Volldampf unterwegs, das heißt mit bis zu 80 Stundenkilometer. Die Verfolger sahen nicht nur einmal nur noch die Rauchwolken der entschwundenen Dampfrösser.

Wir haben den Zug über eine Distanz von fast 170 Kilometern verfolgt und einige sehenswerte Einstellungen einfangen können. Vor Chabuga stellte sich die Frage, auf den Gegenzug um 16 Uhr zu warten, oder zurück nach Daban zu fahren. In der Abstimmung entschied sich die Mehrheit für die Rückfahrt.

Im Betriebswerk von Daban standen sechs Loks unter Dampf. Die untergehende Sonne tauchte das Loks, Werk und Stimmung in eine goldene Farbe. Die Atmosphäre war traumhaft, für manche Fans fast beglückend. Zumal sich viele der Eisenbahnfreunde mit Souveniers aller Art eindecken konnten. Hauptsächlich Fellmützen für 150 Yuan waren der Renner.

6. Tag: Donnerstag, 17. November 2005

Heute ist der Tag - um es in der Radsport-Sprache auszudrücken - der Königsetappe. Es fährt unser Sonderzug mit Dampf über den Jing Peng Pass. Eine historische Fahrt, ist es doch der letzte Personenzug in der Geschichte der Strecke. Außerdem war es der erste Dampfzug seit über einem Jahr, der wieder diese Strecke befahren hat. Wer den Bahngenuss schon vom ersten Meter an erleben wollte, musste ganz früh aufstehen, um 4.30 Uhr mit dem Bus nach Daban zu fahren. Abfahrt unseres Sonderzuges exakt 6.00 Uhr. Die Fototruppe, war eine Stunde später am ersten Fotopunkt, um den Personenzug mit den beiden QJs an der Spitze, noch vor Sonnenaufgang aufs Bild zu bekommen. Der nächste Stopp erfolgte am Viadukt von Reshui, verbunden mit einer vierzig minütigen Wartezeit. Der kalte, klare Morgen wurde an dieser Stelle durch ein frisches Lüftchen ergänzt, das die ganze Truppe ein wenig frösteln ließ. Aber das Motiv von Dampf umhüllt erwärmte alle Fanherzen. 11.44 Uhr, fast auf die Minute genau lief unser Sonderzug im Bahnhof von Jing Peng ein. Leider war der Aufenthalt am Bahnhof mit 45 Minuten ein wenig kurz bemessen.

Auf der Rückfahrt standen wir als erstes am Viadukt, das ungefähr zwei Kilometer vom Jing Peng entfernt. Weiter ging die Verfolgung zum wohl bekanntesten Motiv, der "Horseshuecurve", mit seinem halbrunden Viadukt. Von dort aus konnte man mehrere Blicke auf den Zug werfen. Ausgedehnte Blicke, denn der Zug war fast zehn Minuten lang zu verfolgen. Der Höhepunkt dieser Szene war die Überfahrt über den runden Viadukt. Mit Volldampf und lautem Pfeifen. Ein Tag, an den wohl jeder Reisende immer wieder erinnert werden wird. Und sei es nur durch die Hunderte von Fotos, die jeder Teilnehmer an diesem Tag geschossen hat.

7.Tag: Freitag, 18. November 2005

Heute ist "Kultur" angesagt. Ein Teil der Gruppe ist natürlich wieder Dampfwolken nachgejagt, da aber auf der JiTong Linie an diesem Tag wegen Bauarbeiten kein Verkehr stattgefunden hat, ging es wieder in Richtung Kohlegruben. Der Rest der Gruppe, allerdings der überwiegende Teil, hat die Strecke nach Jingpeng auf der Straße abgefahren und in einigen kleineren Ortschaften Halt gemacht. Der erste Ort war Shandi und dort die Familie Sun. Das Enkelkind Y Hong, ein Mädchen. Beäugte uns etwas ängstlich am Tor zum Garten. Opa Guo Shuai begrüßte uns lächelnd.

Im Anwesen der Familie Sun liegen hinter dem Tor, auf dem Weg zum Haus links, die Gehege für die Tiere. Schafe und Hühner, rechts der Gartenbereich. Die "größeren" Nutztiere sind, wie bei allen anderen Bewohnern, am Straßenrand zu finden. Wobei Esel und Pferde immer bei den Mauern angepflockt sind, zur Sonne ausgerichtet. Im Haus selbst ist das Schlafzimmer der größte Raum, mit einem Bett, zirka zwei auf 2,5 Meter breit und knapp einen Meter hoch. Eine Holz-/Steinkonstruktion, deren herausragendes Merkmal die Beheizbarkeit ist. Der Raum hinter dem Schlafzimmer ist die Küche, von dort aus werden Herd und Bett befeuert. Links neben der Küche liegt der Wirtschaftsraum, in dem ein riesiger Bottich steht, darin ist Chinakohl, die Nahrung für den Winter, angesetzt. Vom Gang aus links ging es noch in eine Art Lagerraum.

Zum Abschluss erklärte uns Sun, dass er sehr stolz ist, mit Gästen aus Deutschland sprechen zu können.

Unsere Kulturreise endete in Jingpeng, wo wir das urbane Leben beobachten konnten. Fliegende Händler mit kandierten Früchten, kirschgroß, wie Schaschlick aufgespießt, Schumacher, Reparatur-Betriebe für Fahrräder und ein Maler, der einen Heizkörper in freier Natur silberfarben anstrich. Leider war generell das Zeitkorsett recht eng gestrickt, so dass man sehr konzentriert beobachten und arbeiten musste.

Im Barwagen des Chinese Orient Express endete unser Tag, als sich Hartmut und Armin ans Klavier setzten und mit flotten Rhythmen den Zug zum Schwingen brachten. Höhepunkt unsere Spontanorgie waren die gemeinsam ins Szene gesetzten drei Chinesen mit ihrem berühmten Kontrabass.

8. Tag: Samstag, 19. November 2005

Gegen acht Uhr rollte unser Sonderzug im Pekinger Hauptbahnhof ein. Nach einem Frühstück im Hotel ging es zur verbotenen Stadt. Es handelt sich dabei um den chinesischen Kaiserpalast, dem größten Gebäudekomplex der Welt, mit zahllosen Gebäuden und über 8.000 Räumen. Der Überlieferung nach hat der Tempel Gottes 10.000 Räume, der des Kaisers einen weniger. 14 Jahre wurde an diesem Bau gearbeitet. Vollendet um 1425?

Thronsaal
Thronsaal

Leider hat der Wettergott an diesem Vormittag etwas schlechte Laune und bedenkt uns mit grauem Himmel und Nieselregen. Außerdem war es viel kälter, als vorhergesagt, deshalb fingen einige Besucher auch an zu bibbern. Zum Glück gibt es in dieser Gegend zahllose fliegende Händler, die einem unter anderem mit Pudelmützen versorgen konnten. Stückpreis ein Dollar, mit gestickter Werbung für die olympischen Spiele 2008 in Peking. Man kann die Mütze immer noch drei Jahre tragen, ohne seiner Zeit hinterher zu hinken ...

9.Tag: Sonntag. 20. Oktober 2005

Nach einem kurzen Mittagessen ging es zur Chinesischen Mauer. Diese ist über 6.000 Kilometer lang. Erbaut wurde sie bereits vor Christi Geburt. Jetzt hat man mit diesem mächtigen Bauwerk ein wenig Probleme, da es schneller zerfällt, als es erneuert werden kann.

Die letzte Station unserer Reise war das chinesische Eisenbahnmuseum in Peking. Eine riesige Halle, 60 Meter breit und 300 Meter lang enthält zahllose Lokomotiven aus den unterschiedliche Epochen der chinesischen Eisenbahn. Es sind Exponate aus unterschiedlichen Ländern, auch eine Lok aus deutschen Landen, eine E-Lok, gebaut bei Henschel war zu bewundern.

Der Blickfang der Sammlung ist natürlich die Mao-Lok, in der Mitte des Museums aufgestellt und an die Anfänge der Volksrepublik China erinnernd. Eine Volksrepublik ist China immer noch, aber die wirtschaftliche Entwicklung scheint weit weg von Mangel- und Planwirtschaft. Aber das ist ein anderes Thema. Nach einer Stunde war unser Besuch im Museum zu Ende und gleichzeitig auch unser Aufenthalt in Peking.

Aber wir kommen wieder. China besitzt zahllose sehenswerte Bahnen und noch knapp 1.000 Dampfloks. Die Zukunft scheint also rosig. Unser Dank gilt an dieser Stelle Armin Götz und seiner Truppe, die aus dieser Reise -wie immer- ein unvergessliches Erlebnis machten.

(ESD: 12.03.2006)

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Hagen von Ortloff
Hagen von Ortloff