Der globale Milchmarkt steht vor einer Revolution. Da Kuhmilch als klimaschädlich gilt, greifen immer mehr umweltbewusste Menschen zu Pflanzenmilch. Die weißen Drinks aus Pflanzen sind aber oft teurer und ihre Produktion nicht zwingend nachhaltig. Deshalb laufen weltweit Versuche, Kuhmilch ohne Kühe herzustellen. Dabei soll die molekulare Struktur des tierischen Ausgangsprodukts erhalten bleiben. Die Produktion funktioniert durch Fermentation in Edelstahltanks.
Fermentation und Gen-Modifikation werden kombiniert
Diese neue Art der Milchproduktion ist eine erstaunliche Kombination aus zwei Techniken: Einerseits wird die Fermentation verwendet - die uralte Gärmethode, durch die beispielsweise Bier oder Sauerkraut entsteht. Andererseits die Technik der genetischen Modifikation von Mikroorganismen - in diesem Fall mit Hilfe von Hefezellen. Die Hefezellen bekommen quasi eine neue, zusätzliche Aufgabe: Sie erhalten durch die Gen-Sequenz einer Kuh die Information, wie sich Milchproteine bilden lassen.
Seit der Entdeckung der Genschere wird weitergeforscht
Die Weitergabe dieser Information ist möglich durch eine Methode, die dem Menschen seit einigen Jahren eine Kontrolle über bestimmte Bausteine des Lebens gibt - und einen sperrigen Namen trägt: Crispr/Cas. Die sogenannte Genschere ist in der Lage, DNA an einer bestimmten Stelle zu durchschneiden.
In dem amerikanischen Dokumentarfilm "Human Nature" etwa wird anschaulich erklärt, wie Forscherinnen und Forscher diese Technik, die sogenannte Genschere, gefunden haben. Ethische Probleme werden auch aufgezeigt. 2020 wurden zwei Wissenschaftlerinnen für Crispr/Cas mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet.
Präzisionsfermentation im Fraunhofer Institut in Stuttgart
Am Fraunhofer Institut IGB in Stuttgart wird mithilfe von Crispr/Cas und Fermentation an der Milch der Zukunft gearbeitet. Grzegorz Kubik, Leiter des Innovationsfelds Industrielle Biotechnologie, spricht von Präzisionsfermentation. Er produziert in seinem Labor ein Inhaltsstoff-Protein. Dies sei keine direkte Milch, betont der Chemiker. Und es müsse auch kein Protein dabei herauskommen. Andere Unternehmen wären gerade dabei, durch Präzisionsfermentation Fette herzustellen.
Zulassung für tierfreien Käse fehlt in Europa noch
Die Präzisionsfermentation nutzt auch das Start-up Formo mit Sitz in Berlin und Frankfurt. Hier wird "kuhfreier" Käse produziert. Formo-Sprecherin Viktoria Reinsch erklärt, dass sie mit fünf verschiedenen Produkten, etwa Weichkäse, Hartkäse und auch Frischkäse, starten wollen. Formo hat in seiner letzten Finanzierungsrunde 50 Millionen US-Dollar eingesammelt. Dabei sind die Produkte des Start-ups noch nicht im Handel. In Europa fehlt derzeit noch eine entsprechende Zulassung. In anderen Ländern gibt es tierfreien Käse bereits.
Preise nicht höher als bei konventionellen Milchprodukten
Das israelische Unternehmen Remilk zum Beispiel verkauft in den USA tierfreien Frischkäse mit Molkeprotein, das im Fermenter entstanden ist. Remilk will nach eigenen Angaben schon 2024 Joghurt, Frischkäse und Eiscreme zum gleichen Preis verkaufen wie konventionelle Milchprodukte. Der große deutsche Käsehersteller Hochland hat sich bereits an Remilk beteiligt.
Nachhaltigkeit reicht nicht bei tierfreiem Käse - Geschmack entscheidet
Wer bei der Produktion von Milchprodukten ohne Tiere auskommt, spart Weideflächen, Wasser und CO2 und produziert so günstiger und nachhaltiger.
Doch nur mit dem Label Nachhaltigkeit werde sich der neue Käse nicht verkaufen, sagt Viktoria Reisch vom Start-up Formo. Wichtig sei der Geschmack - Käse, der nicht schmecke, den brauche kein Mensch. Unternehmensziel sei es, bis 2030 zehn Prozent vom europäischen Käsemarkt zu erobern.