Ein Jahr tobt der Krieg in der Ukraine bereits. Der Konflikt hat vieles verändert, auch an der Haltung Deutschlands. Zuerst wollte man der Ukraine nur Helme liefern - und wurde dafür von den internationalen Partnern scharf kritisiert. Dann gab es defensive Waffensysteme, etwa Artillerie oder Luftverteidigungssysteme. Jetzt gehen sogar Kampfpanzer an die ukrainischen Streitkräfte.
Antriebe und Motoren für zivile und militärische Zwecke
Das bringt der Rüstungsbranche, die am Bodensee stark verankert ist, Aufschwung. Zum Beispiel bei Rolls-Royce Power Systems (RRPS) mit der Marke MTU. Der Rüstungskonzern betreibt mehrere große Werke mitten in Friedrichshafen. Wer ins Werk hinein möchte, muss einen Termin haben und seine Personalien hinterlegen.
Sicherheit wird groß geschrieben. Denn die Motoren, die hier gebaut werden, kommen zwar größtenteils in zivilen Schiffen, Lastwagen und Spezialfahrzeugen zum Einsatz - aber eben auch in Leopard 2- und Puma-Panzern. Seit dem Ukraine-Krieg hat sich für die Mitarbeiter vor allem das Image geändert, sagt Knut Müller, bei Rolls-Royce Power Systems zuständig für das Behördengeschäft, also alles, was mit der Bundeswehr zu tun hat.
Deutschland liefert "Leopard 2" an die Ukraine Panzerlieferungen: Reaktionen aus der Bodenseeregion
Deutschland liefert der Ukraine 14 "Leopard 2"-Panzer. Das hat die Bundesregierung am Mittwoch beschlossen. Die Reaktionen darauf fallen in der Bodenseeregion unterschiedlich aus.
RRPS: Keine Neuaufträge beim Hersteller von Panzermotoren
Als der Krieg begann, fing man auch bei Rolls-Royce Power Systems an, sich auf verstärkte Anfragen vorzubereiten. Denn wenn im Krieg gekämpft wird, werden auch viele Panzer zerstört und müssen nachgeordert werden. Da sei man in Vorleistung gegangen, um bereit zu sein, so Knut Müller. Immerhin hatte Bundeskanzler Scholz bereits am 27. Februar 2022 für die deutschen Streitkräfte die Zeitenwende ausgerufen. 100 Milliarden Sondervermögen sollten für die Aufrüstung der Truppe bereitstehen.
Dadurch rechnete man auch bei Rolls-Royce Power Systems damit, schnell Aufträge zu bekommen - erst recht, seit klar wurde, dass auch Kampfpanzer geliefert werden. Allein, bislang sind noch keine Bestellungen eingegangen. Seit Monaten sei man in Gesprächen. Doch wirklich in den Auftragsbüchern verbuchen kann man in Friedrichshafen noch nichts.
Zeitenwende des Bundeskanzlers ins Stottern geraten
Eine Tatsache, die für Klaus-Heiner Röhl, Rüstungsexperte beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, nicht überraschend kommt. Die Zeitenwende sei bisher nur verzögert in Gang gekommen:
Diehl Defence und Airbus: Artillerie für die Ukraine
Anders sieht die Lage rund 30 Kilometer entfernt in Überlingen aus. Dort ist mit Diehl Defence der größte Hersteller für Raketen in Deutschland zu Hause. Diehl hat den ukrainischen Streitkräften das Luftabwehrsystem Iris-T SLM geliefert. Es gilt als eines der modernsten Flugabwehrsysteme der Welt. Drei weitere sollen die Überlinger noch liefern.
Diehl selbst gibt keine Interviews. Auf SWR-Anfrage reagiert Diehl nur schriftlich. 120 neue Stellen seien in Überlingen derzeit ausgeschrieben, so ein Sprecher. Der Ukraine-Krieg bedeute eine Zäsur für die Branche. Man wolle weiterhin die Bedarfe der deutschen Streitkräfte bedienen.
Für das Flugabwehrsystem Iris-T SLM arbeitet Diehl Defence eng mit Airbus Defence and Space in Immenstaad am Bodensee zusammen. CEO Michael Schöllhorn war sich bereits bei der ersten Lieferung sicher, dass die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine durch dieses System erheblich gestärkt werde. Es biete "effektiven Schutz gegen Bedrohung durch Raketen- und Drohnenangriffe".
Minenräumung in der Ukraine mit Geräten aus Stockach
Doch auch kleinere Unternehmen der Branche produzieren in der Bodenseeregion. In Stockach im Kreis Konstanz produziert die Schweizer Firma Global Clearance Solutions große Minenräumgeräte. Die pflügen die Erde um und bringen Minen so zur Detonation. Die gepanzerten Fahrzeuge sind ferngesteuert.
Der erste Minenräumer ist laut Unternehmensangaben bereits im Einsatz, 25 weitere seien bestellt. Das Geschäft ist zukunftsträchtig. Schätzungen von Experten zufolge, sind rund ein Drittel der Ukraine durch Minen und andere Kampfstoffe verseucht - es soll Jahrzehnte dauern, bis die Kriegsfolgen beseitigt sind.
Ausbildung ukrainischer Techniker Minenräumgeräte aus Stockach helfen in der Ukraine
Fünf Minenräumgeräte der Firma "Global Clearance Solution" aus Stockach (Kreis Konstanz) sind in der Ukraine angekommen. Sie sollen die tödlichen Waffen beseitigen helfen.
Deutsche Rüstungsbranche: vielfältige Struktur - starker Mittelstand
An vielen Orten in Deutschland ist die Branche noch von solchen Mittelständlern geprägt. Konzentrationsprozesse in der Industrie hat es hierzulande weniger stark gegeben als in anderen Ländern, erklärt Rüstungsexperte Klaus-Heiner Röhl vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.
Lange Lieferzeiten für Leopard 2: Die Industrie ist bereit, die Politik nicht
Neue Aufträge, über die man sich bei Rolls-Royce Power Systems bestimmt freuen würde. 18 Monate könnten zwischen Bestellung und Lieferung von Motoren vergehen, merkt Knut Müller an, verantwortlich für das Behördengeschäft bei den Friedrichshafenern. Das bedeutet, wenn die Bundeswehr die für die Ukraine bestimmten Leopard 2-Panzer zeitnah ersetzen will, braucht es jetzt schnelle Beschlüsse.
Dabei sei man sogar bereit, zusätzliche Stellen zu schaffen und eine neue Produktionslinie zu errichten - wenn die Aufträge endlich kämen. Doch Knut Müller bleibt diplomatisch: "Wir rechnen natürlich damit, dass diese Fähigkeiten bei den Streitkräften wieder ersetzt werden. Über welchen Zeitraum das geschehen wird, das müssen wir abwarten. Es gibt aktuell keine konkreten Planungen, wie das umgesetzt werden soll."
Viele Aufträge durch Ukraine-Krieg HENSOLDT will hunderte Stellen schaffen
Der Ukraine-Krieg und das Sondervermögen für die Bundeswehr bescheren dem Rüstungshersteller HENSOLDT volle Auftragsbücher. Deswegen will der Konzern in Ulm hunderte Stellen schaffen.
FCAS: neues Luftkampf-System - unterstützt von Drohnen, KI und Satelliten
Einen anderen Konflikt hat der Ukraine-Krieg - vorerst - beendet: den Streit um das Luftverteidigungssystem FCAS, die Abkürzung steht für Future Combat Air System. Mit dem deutsch-französisch-spanischen Prestige-Projekt will man in Europa der amerikanischen Konkurrenz entgegentreten. Interne Machtkämpfe unter den Industriepartnern Airbus und Dassault bremsten FCAS zuletzt aus.
Durch politischen Druck von Bundeskanzler Olaf Scholz und dem französischen Staatspräsident Emmanuelle Macron soll es wieder vorangehen: Politisches Ziel ist ein einheitliches europäisches Kampfjet-System im übernächsten Jahrzehnt. Für Deutschland soll FCAS Nachfolger des Eurofighter werden. Daneben hat Großbritannien das Projekt FCAS verlassen und entwickelt jetzt mit Italien und Schweden zusammen am Kampfflugzeug Tempest.
Kampfjets gelenkt durch Piloten oder Computer, begleitet von unbemannten Drohnen und satelliten-gesteuert über intelligente Software - erst 2040 soll das hochkomplexe FCAS einsatzbereit sein, die Kosten werden mit 100 Milliarden Euro veranschlagt.
Experten rechnen für das langlaufende Hochtechnologie-Projekt, das über die Rüstung hinaus zukunftsweisend sein soll, bereits heute mit Kosten von 300 Milliarden Euro. Ob FCAS erfolgreich wird und sich durchsetzt, steht trotzdem noch in den Sternen - auch in der Vergangenheit wurden milliardenschwere Rüstungsprojekte am Ende dennoch eingestampft.