Der Kurssprung einer Aktie ist meist ein Grund zur Freude bei den Besitzern, beim Unternehmen und generell an der Börse. Doch diesmal löst das Allzeithoch der SAP-Aktie ein Beben am Finanzmarkt in Frankfurt aus. Die Folgen könnten weitreichend sein. Anleger sind teilweise beunruhigt.
Das Problem: Der Erfolg von SAP
Die Vorgeschichte: Der Abschied von Linde
Die Lösungsvorschläge: Rauf mit der Kappungsgrenze
Die Vergleiche: Woanders gibt es gar keine Grenzen
Das Dilemma: Freiheit, Wettbewerb, Schutz
Die SAP-Bilanz: Quartalszahlen und Konzernumbau
SAP - erfolgreicher als die Börse erlaubt
Die Walldorfer sind für die Deutsche Börse erfolgreicher, als sie sein dürfen: Der baden-württembergische Software-Konzern spielt in der obersten deutschen Börsenliga - also im Dax. Dort war er mit seinem Aktienwert schon immer ein Schwergewicht. Mit deutlichem Abstand wurde SAP zuletzt die Nummer eins. Nun hat der Konzern aber mehr als 15 Prozent des gesamten Börsenwert aller Dax-Konzerne erreicht. Vor einem halben Jahr lag das Gewicht von SAP bei knapp zehn Prozent.
Die 15 Prozent markieren eine Grenze, die im Börsenjargon Kappungsgrenze genannt wir. Erst im Frühjahr 2024 war sie nach längeren Debatten von zehn Prozent auf 15 Prozent erhöht worden. Alle 40 Dax-Unternehmen sollen mit ihrem Börsenwert unterhalb dieser Grenze bleiben. Auch bei anderen Aktiengruppen an der Deutschen Börse (MDax, SDax) gilt die Kappungsgrenze von 15 Prozent.
SAP ist mehr als doppelt so wertvoll wie Siemens
Die Nummer zwei im Dax, der Technologiekonzern Siemens, kommt aktuell auf ein Gewicht von knapp 8 Prozent. Zum Vergleich: Der Börsenwert (auch Marktkapitalisierung genannt) von Siemens beträgt momentan rund 130 Milliarden Euro, bei SAP rund 272 Milliarden Euro.
Kappung durch Verkauf von Aktien
Wenn SAP weiterhin "Ü15" bleibt, muss das Gewicht des Unternehmens bei der nächsten Index-Überprüfung im Dezember beschnitten werden. Dies verlangt eine Regel der Deutschen Börse, die selbst als Unternehmen im Dax gelistet ist.
Solch eine Kappung zwingt Verwalter von Indexfonds SAP-Aktien zu verkaufen. Dabei geht es auch um ETFs, die den Dax eins zu eins abbilden.
Erinnerungen an Dax-Flüchtling Linde
Die Kappungsgrenze hatte zuletzt den deutsch-amerikanischen Industriegas-Hersteller Linde aus dem Dax vertrieben. Damals lag die Grenze allerdings noch bei zehn Prozent. Nur rund ein halbes Jahr, nachdem die Börsenführung die Kappungsgrenze auf 15 Prozent angehoben hat, überspringt SAP die neue Grenze.
SAP will Finanzplatz Deutschland treu bleiben
Die Süddeutsche Zeitung (SZ) zitiert einen SAP-Sprecher: "Die Auswirkungen der Kappung hält sich aktuell noch in Grenzen." Diese Einschätzung aus Walldorf wertet SZ-Wirtschaftsredakteur Tobias Bug als keine gute Nachricht. Weiter heißt es: "Bei SAP würden sie es begrüßen, wenn die Börse die Kappungsgrenze noch mal anheben würde, sagt der Sprecher, aber sie spielten nicht mit dem Gedanken, den Finanzplatz Deutschland zu verlassen.
Forderung von Experten: Gewinner nicht künstlich klein halten
Etliche Finanzexperten fordern - meist mit dem Hinweis auf Linde - die Obergrenze für Einzelwerte im Dax aufzuheben. SAP-Finanzchef Domink Asam sagte bei der Präsentation der jüngsten Quartalszahlen, er stehe in Verhandlungen mit der Deutschen Börse.
Es könne nicht sein, dass Gewinner bestraft werden, meinen manche Finanzexperten. Auch das Argument, dass die Kappungsgrenze verhindern soll, dass ein einziges Unternehmen den Dax dominiert und ihn im Extremfall auch komplett mit nach unten ziehen könnte, lassen sie nicht gelten. Wer bei der Geldanlage erfolgreich sein wolle, müsse Gewinne laufen lassen und Verluste begrenzen, lautet eine Devise.
Vier Konzerne bringen Dax voran - Kappungsgrenze ändern
Dieses Jahr hätten nur vier Unternehmen den Dax vorangebracht: Die Versicherer Allianz und Munich Re, die Deutsche Telekom und SAP, betont Börsen-Experte Archibald Preuschat. Er hat ausgerechnet, dass mehr als die Hälfte der Dax-Kursgewinne auf ein Zehntel seiner Mitglieder fällt.
Preuschat findet grundsätzlich Regeln sinnvoll, die verhindern sollen, dass ein Unternehmen einen Index dominiert. Die Deutsche Börse werde aber nicht umhinkommen, ihre Kappungsregel zu modifizieren. Sein Wunsch: Dass die Börse handelt, bevor SAP dem Finanzplatz Deutschland den Rücken zuwendet.
Ohne Kappung: Apple dominiert US-amerikanischen Aktienindex
Als Beispiel werden dafür auch Börsen in anderen Ländern genannt: Der US-amerikanische Aktienindex Standard & Poor’s 500 (S&P) umfasst 500 der größten börsennotierten Unternehmen. Der wertvollste Konzern der Welt, Apple, macht derzeit allein mehr als 7 Prozent vom S&P aus. Microsoft hat knapp 6 Prozent, Alphabet zusammengerechnet 4 Prozent, Amazon rund 3,5 Prozent.
Die Erfolgsgeschichten dieser Techkonzerne haben den Index in die Höhe getrieben. Davon profitierten viele Anleger. Umgekehrt können Börsen-Schwergewichte aber auch für einen rasanten Kursverfall sorgen, wenn sie stark "abnehmen".
Pharmakonzern mit Abnehm-Spritze dominiert in Dänemark
In Dänemark dominiert das durch die Abnehm-Spritzen Ozempic und Wegovy bekannt gewordene Pharmaunternehmen Novo Nordisk die Börse. Im Kopenhagener OMX sind die 25 Aktien zusammen knapp 850 Milliarden Euro wert. Davon erreicht allein Novo Nordisk momentan mit rund 525 Milliarden Euro mehr als 50 Prozent.
Befürworter der Kappung: Warnung vor Wettbewerbsverzerrung
Es gibt aber auch Länder, die ebenfalls wie Deutschland Kappungsgrenzen haben, betont Veronika Kylburg von der Deutschen Börse - in Frankreich und Italien 15 Prozent, in der Schweiz 20 Prozent. Gegenüber dem Handelsblatt betonte Kylburg, die Marke von 15 Prozent sei der Wert, der am ehesten mit den europäischen Regeln und den Interessen aller Investorengruppen vereinbar sei.
Die Fondsgesellschaft der Genossenschaftsbanken, Union Investment, lehnte schon die Aufstockung von zehn auf 15 Prozent ab und sprach von "Wettbewerbsverzerrung".
Der Branchenverband BVI warnt, dass sich die negativen Effekte von zu dominanten Einzelunternehmen an den US-Indizes ablesen ließen.
Auch der Deka-Anlagestratege, Joachim Schallmayer, befürchtet, dass eine erneute Aufweichung der Kappungsgrenzen nach oben "Klumpenrisiken im Dax erhöhen und der Benchmarkfunktion mehr schaden als nutzen“"würde.
SAP präsentiert starke Zahlen - baut aber Stellen ab
SAP will weiter wachsen. Zukäufe stehen dabei nicht im Mittelpunkt. Die Strategie-Leitung will "organisch investieren". Der weltweit drittgrößte Softwarekonzern hat sein Ergebnis im dritten Quartal des Geschäftsjahres deutlich gesteigert. Der bereinigte Gewinn vor Steuern und Zinsen lag bei 2,24 Milliarden Euro – 27 Prozent mehr als im gleichen Quartal vor einem Jahr.
Besonders gut läuft weiterhin das Cloud-Geschäft. Vor dem Hintergrund der aktuellen Zahlen hat SAP seine Gewinn-Prognose für das Gesamtjahr erhöht und rechnet jetzt mit einem Plus von 20 bis 23 Prozent.
Die Kosten für den geplanten Konzernumbau schätzt das Unternehmen weiterhin auf rund drei Milliarden Euro. SAP will mehr Mitarbeiter im Bereich KI einstellen und dafür bis zu 10.000 Arbeitsplätze in anderen Bereichen abbauen. Allerdings geht es mit den Neueinstellungen der KI-Fachleute nicht so schnell wie geplant, teilte SAP mit.
Der freiwillige Abschied wurde Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen mit hohen Prämien schmackhaft gemacht. In manchen Abteilungen nahmen mehr Beschäftigte das Angebot an als von der Konzernführung erwartet.
Klassisches Softwaregeschäft schrumpft
Das klassische Softwaregeschäft, mit dem SAP groß geworden ist, schrumpft weiterhin. Die Erlöse durch den Verkauf von Lizenzen und die Wartung individualisierter Systeme sanken im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um rund vier Prozent auf 3 Milliarden Euro.