Aus dem Muttertag macht sich Anne-Marie Ludewig nicht viel. „Die haben alle eine Mama. Ich bin Anne.“ Anne-Marie lebt, gemeinsam mit fünf Kindern, in einem der Häuser im SOS-Kinderdorf Württemberg in Schorndorf - und sie ist von Beruf Mama. Auch wenn sie sich nicht so nennen möchte. Und ihr Alltag sieht meistens genauso aus, wie bei anderen Familien auch.
Alltag in der SOS-Kinderdorffamilie
Die Kinder kommen von der Schule nach Hause, erzählen von ihrem Tag, meckern über das Mittagessen oder das Schulprojekt. Und wenn erst aufgeräumt werden muss, bevor sie auf den Fußballplatz zum Kicken gehen können, kann es auch schonmal etwas lauter werden. Bis man sich doch schnell wieder verträgt und lieber kuschelt, vorliest oder auf dem Wohnzimmerteppich Brettspiele aufbaut.
SOS-Kinderdorfmutter: Ein Versprechen an die Kinder
Der große Unterschied zu vielen anderen Familien: Fast alle Kinder hier bringen eine schwierige Vorgeschichte mit. Anne-Marie Ludewig begreift ihren Job darum auch als Versprechen an diese Kinder. „Als ich die Kinder übernommen habe, habe ich gesagt: Ich bin für euch da, solange ihr mich braucht. Das habe ich denen versprochen, und so lange bin ich auch da.“
Und zwar immer, rund um die Uhr. Geregelte Arbeits- und Freizeiten Fehlanzeige, Erholung irgendwann zwischendurch. So ist Muttersein als Beruf. Und dabei immer ausbalancieren müssen zwischen enger Beziehung zu den Kindern und der nötigen Professionalität.
„Ich merke, ich muss immer mal wieder einen Schritt zurück gehen, Abstand nehmen. Und dann kann ich auch wieder da sein.“ Abstand nehmen – gar nicht so leicht in einem Haus mit fünf Kindern. Als Rückzugsort hat sie nur ihr eigenes Zimmer.
Mutter als Beruf – mit allen Vor- und Nachteilen
Viel Privates bleibt da nicht, auch wenn werktags ein festes pädagogisches Team unterstützt. Ein kurzer Spaziergang alleine mit dem Hund, dann stehen sofort wieder die Kinder im Mittelpunkt. Für Kinderdorfmutter Anne, die vorher schon als Erzieherin gearbeitet hat, geht die Gleichung dennoch auf.
Und den Kindern geht es ähnlich. „Sie ist für mich wie eine richtige Mutter. Ich lieb‘ die. Sie akzeptiert mich, wie ich bin. Auch mit meinen Macken und sie ist immer für mich da. Ob‘s schwierig ist oder nicht“, erzählt eine 15-jährige junge Frau, die hier mit Anne-Marie lebt.
Und der Neunjährige freut sich, dass „sie nett ist, dass sie mich ins Bett bringt, dass sie für mich da ist. Und dass ich auch manchmal Tablet spielen darf“, sagt er und grinst.
Work-Life-Balance als SOS-Kinderdorfmutter
Allerdings wollen immer weniger Menschen eine so vereinnahmende Aufgabe übernehmen. Kinderdorfmütter und -väter werden händeringend gesucht. Das Kinderdorf Württemberg ist offensiv auf der Suche, erzählt Einrichtungsleiter Rolf Huttelmaier.
Work-Life-Balance, dass sei ein schwieriges Thema hier, wo sich Leben und Arbeiten so sehr vermischen wie kaum woanders. „Es ist natürlich auch ein Thema bei unseren Kinderdorfmüttern, gesund zu bleiben und die Lebenskraft zu erhalten“, sagt Huttelmaier.
Quereinsteiger erwünscht
Darum setzt der Kinderdorfverein ausdrücklich auch auf Quer- oder Späteinstiege in die Ausbildung und probiert neue Modelle aus - mit weniger Kindern oder zwei Müttern pro Familie.
Auch Anne-Marie Ludewig spürt, dass ihr nach 14 Jahren Kinderdorf die Puste allmählich ausgeht. Als der Größte kürzlich auszog, rückte auf ihren Wunsch kein Kind mehr nach. Nach dieser Generation soll Schluss sein. Doch rückblickend bereut sie keine Sekunde der bisherigen 14 Jahre im Kinderdorf: