Die Bismarkstraße in Schiersfeld

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Ein Film von Fatma Aykut

Schiersfeld im Donnersbergkreis ist eines der wenigen Dörfer, die sich ihren Ursprungscharakter noch erhalten haben: Landwirtschaftlich geprägt, eine Kirche – eine Konfession, bodenständig, Dorf der Heimwerker. Gerade einmal 230 Menschen leben hier. Während in der Hauptstraße die großen Gehöfte von der großen Landwirtschaft vergangener Zeiten zeugen, zeigt die Bismarckstraße die große Vielfalt in Schiersfeld. Natürlich mit zwei aktiven Vollerwerbslandwirten, aber auch einem Lehrer, einem Aushilfspfarrer, der eigentlich Physiotherapeut ist, einer Kneipe in der ehemaligen Schule. Sie wird von Bürgern für ihre Mitbürger betrieben. Der letzte Gastwirt schmiss vor Jahren hin. Neue zog es nicht an. Also nahmen die Schiersfelder ihr Schicksal selbst in die Hand und machten mit dem Segen der Ortsverwaltung im ehemaligen Klassenzimmer eine Kneipe auf. Es gibt einen Dienstplan, welcher Bürger wann hinter die Theke muss. Ein Modell, das Schule machen sollte! Doch dafür braucht es ein hohes Maß an Solidarität, Verantwortungsbewusstsein für die Gemeinschaft, um in der Not zusammen zu rücken. Eine große Not entstand im vergangenen Jahr im September, als das Moscheltal von einer katastrophalen Flut heimgesucht wurde. Häuser, Scheunen, Autos, Gerätschaften – alles stand unter Wasser. Tanja und Thomas Freund in der Bismarckstraße haben ihr Haus direkt am Moschelbach. Es stand bis zum Erdgeschoss unter Wasser. Tanja war zum Zeitpunkt der Überflutung alleine zu Hause, mit ihrer erst wenige Tage alten Tochter. Sie wurde von der Feuerwehr befreit.

Dieser Tag und diese Bilder haben sich ins kollektive Gedächtnis der Schiersfelder eingebrannt. Mehr als ein halbes Jahr danach sind die Schäden noch sichtbar. Für Tanja aber auch spürbar. Denn die Flut riss auch ihre ganzen Erinnerungen mit: Fotoalben aus der Kindheit, Erinnerungsfotos an ihre verstorbenen Großeltern, Schnappschüsse, alles weggespült. In dieser Zeit erfuhr sie viel Hilfe von den Schiersfeldern. Zusammen rücken – das war das Gebot der Stunde. Weiter oberhalb des Moschelbachs leben zwei Landwirte, Hartwig Kaiper und Franz Ritzmann, beide Vollerwerbslandwirte seit Generationen. Der eine, Franz Ritzmann, eher ein großer Landwirt mit Familie, während Hartwig Kaiper wohl der letzte seiner Familie sein wird. Er hat keine Nachkommen. Der große Landwirt ist ein pragmatischer, der kleine ein romantischer. Hartwig Kaiper sorgt sich rührend um seine Kühe, er spricht mit ihnen, er gibt ihnen Namen. Jedes mal, wenn der Schlachter kommt, sagt er, blute ihm das Herz. Unterschiedlicher können zwei Menschen nicht sein, und doch rücken auch sie in schweren Zeiten zusammen. Da Hartwig Kaiper seine Felder nicht mehr alle bewirtschaften kann, aus gesundheitlichen Gründen, übernimmt Franz Ritzmann das einfach mit, nimmt dem Einzelkämpfer Hartwig Kaiper die Arbeit dort ab, wo es geht. Und solange es geht. In der Bismarckstraße in Schiersfeld sind die Menschen leidgeprüft. Doch wie heißt es so schön: Geteiltes Leid ist halbes Leid.

Karte von Schiersfeld
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Autor/in
SWR Fernsehen