Alternativmedizinische Methode

Wie wirksam sind Chiropraktik oder Chirotherapie wirklich?

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Hanna Spanhel
Autor/in
Corinna Klee
Hanna Spanhel

Manuelle Therapien wie die Chiropraktik sind besonders bei der Behandlung von Rückenschmerzen gefragt. Doch gibt es auch wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit?

Verspannungen im Hals und Nacken, ein Knacken in der Schulter oder Schmerzen im unteren Rücken: Rund ein Drittel der Erwachsenen in Deutschland leidet Erhebungen zufolge unter Rückenschmerzen. Viele Betroffene setzen für die Behandlung der Probleme auf alternativmedizinische Methoden – zum Beispiel Chiropraktik oder Chirotherapie.

Manuelle Therapien, also Behandlungen etwa von Rückenproblemen mit den Händen, sind beliebt. In den sozialen Medien finden sich zahlreiche Videos, in denen Chiropraktiker zeigen, wie sie sogenannte Blockaden lösen. Auch Videos mit Tipps dazu, wie man sich selbst einrenken kann, werden im Netz verbreitet. Doch es mischen sich auch Warnungen vor Risiken darunter - und ganz grundsätzliche Kritik an dem Vorgehen. Wie wirksam ist eine chiropraktische Behandlung – und warum ist sie auch umstritten?

Chirotherapie und Chiropraktik – Blockaden lösen durch Einrenken

Chiropraktik ist eine alternative Heilmethode und eine Form der manuellen Therapie, die sich auf die Diagnose und Behandlung von Funktionsstörungen des Bewegungsapparates konzentriert, insbesondere der Wirbelsäule. Chiropraktiker benutzen ihre Hände, um die Beweglichkeit der Gelenke wiederherzustellen und sogenannte Blockaden zu lösen.

Die Rede ist dabei von einer Manipulation durch gezielte Impulse - umgangssprachlich wird das oft als "Einrenken" bezeichnet. Die Behandlung basiert auf der Annahme, dass eine gesunde Wirbelsäule und ein gut funktionierendes Nervensystem entscheidend für die Gesundheit sind.

Chiropraktik darf in Deutschland von Heilpraktikern oder Medizinern mit Zusatzausbildung angewendet werden. Allerdings ist die Ausbildung hierzulande gesetzlich nicht geregelt, manche Heilpraktiker haben lediglich ein mehrtägiges Seminar dazu besucht. Ärzte, die eine Zusatzausbildung in manueller Therapie haben, können sich Chirotherapeuten nennen.

Auf der Suche nach Hilfe bei Verspannungen und Rückenschmerzen

Natascha Schlosser leidet seit anderthalb Jahren mit Schmerzen, seit sie Mutter wurde. Das Hochnehmen und Tragen der Tochter vor allem auf einer Seite habe bei ihr Beschwerden im Lendenwirbelbereich und im Knie ausgelöst, aber auch Verspannungen, sagt die 32-Jährige aus Rastatt. Weil ein Chiropraktiker ihr vor Jahren schonmal helfen konnte, als sie unter migräneartigen Kopfschmerzen litt, wendet sie sich auch mit ihren Rückenproblemen an ihn.

Fabian Engelhardt ist Heilpraktiker und Chiropraktiker. Die meisten Menschen kämen aufgrund von Rückenschmerzen zu ihm, sagt er. Vor der Behandlung klärt Engelhardt, ob gesundheitliche Einschränkungen wie Bandscheibenvorfälle oder Osteoporose vorliegen. Und macht dann eine ausführliche Voruntersuchung, prüft etwa die Beweglichkeit der Knie- und Hüftgelenke und die Körperhaltung.

Der Chiropraktiker behandelt die Schmerzen nicht nur an der Stelle, an der sie auftreten. Er gehe davon aus, dass sich jede Blockierung, egal ob im Rücken oder im Nacken, auf die Haltung auswirke, so erklärt er es. Bei Natascha Schlosser etwa sieht Fabian Engelhardt die Ursache für die Schmerzen und Probleme in einem Beckenschiefstand. „Das linke Bein ist kürzer als das rechte Bein“, sagt er bei der Untersuchung der 32-Jährigen. „Also ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass da eine Blockierung im Becken ist.“

Orthopäde: Chiropraktik bringt Risiken mit sich

Chiropraktik verbinden viele mit „Einrenken“ und einem zugehörigen typischen Knacken. Das klingt schlimm, ist aber in der Regel unbedenklich. Manchmal ist bei der Behandlung jedoch Vorsicht geboten, sagt Professor Tobias Renkawitz, Ärztlicher Direktor und Ordinarius an der Klinik für Orthopädie der Universität Regensburg.

Es gebe besonders sensible Bereiche im Körper, beispielsweise an der Halswirbelsäule, an denen man manuelle Techniken „vorsichtig und mit Bedacht“ einsetzen müsse. „Da gibt es tatsächlich in der Literatur Fallberichte, wonach es teilweise zu Problemen kommen kann.“ Die Vorstellung, dass man gesunde Knochen nur durch chiropraktische Maßnahmen oder manuelle Therapie „in größerem Umfang“ zum Brechen bringen könne, sei aus der Beobachtung heraus aber nicht zu bestätigen.

Es gibt allerdings klare Kontraindikationen oder Umstände, unter denen Chiropraktik gar nicht durchgeführt werden sollte. Dazu gehören beispielsweise Bandscheibenvorfälle, frische Verletzungen, Brüche und Osteoporose. Aber auch Entzündungen an den Gelenken, Tumore oder Nervenreizungen sind Risikofaktoren.

Chirotherapie als Ergänzung zu anderen Therapiemethoden

Professor Tobias Renkawitz ist selbst auch Chirotherapeut und wendet manuelle Verfahren gerne an, besonders in der Sporttherapie. Manuelle Therapie und Chirotherapie sei immer ein Bestandteil der konservativen Orthopädie bei Problemen am Bewegungssystem, sagt der Orthopäde.

„Sie ist meistens eingebettet in einen bunten Blumenstrauß von vielen konservativen Maßnahmen. Dazu gehören Krankengymnastik, physikalische Maßnahmen, auch mal eine leichte medikamentöse Therapie und eben die manuelle Therapie.“

Allerdings: Die Studienlage zu Chiropraktik bei Rückenschmerzen ist sehr uneinheitlich. Aussagekräftige Kontrollstudien dazu durchzuführen ist nicht einfach – dazu müsste eine Gruppe von Testpersonen chiropraktisch behandelt werden, während die andere scheinbehandelt wird, ohne den Unterschied zu merken.

Ohne die sogenannte Verblindung lässt sich kaum ausschließen, dass zum Beispiel eine Schmerzlinderung schlicht auf hohe Erwartungen und den Glauben an eine Behandlungsmethode zurückzuführen ist – also auf den Placebo-Effekt.

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Wirksamkeit von Chiropraktik wissenschaftlich nicht vollständig geklärt

„Man kann nicht automatisch von einem stark belegbaren Nutzen sprechen“, bewertet Professor Renkawitz die Studienlage. Es gebe viele Studien, die durchaus Effekte zeigen würden – und Patienten, die von Chiropraktik durchaus profitieren.

„Im Moment sind die Studienlage und auch die Evidenzlage moderat, das heißt noch nicht vollständig geklärt.“ Aus seiner Sicht brauche es weitere gute wissenschaftliche Untersuchungen, um einen Nutzen für die Patienten herauszuarbeiten.

Eine Übersichtsarbeit, veröffentlicht 2017 im Amerikanischen Ärzteblatt, kommt zu dem Schluss, dass gezielte chiropraktische Eingriffe bei Schmerzen im unteren Rücken immerhin eine „mäßige Wirkung“ haben. Zumindest kurzfristig zeige sich bei Betroffenen demnach eine Schmerzlinderung.

Allerdings berichteten Behandelte den Untersuchungen nach immer wieder auch von Nebenwirkungen wie Schmerzen, Benommenheit oder Schwindel. Ernsthafte Folgen der Eingriffe fand die Meta-Analyse aber in keiner der untersuchten Studien.

Chiropraktik keine reguläre Leistung der gesetzlichen Krankenkassen

Die uneindeutige Studienlage dürfte ein Grund dafür sein, dass Chiropraktik und Chirotherapie nicht zu den regulären Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen zählen. Trotzdem beteiligen sich einige an den Kosten, etwa wenn es sich um einen praktizierenden Arzt mit entsprechender Ausbildung handelt. Ob und in welcher Höhe, muss im Einzelfall mit der eigenen Versicherung geklärt werden.

Wichtig ist: Vor einer Behandlung sollte der Chiropraktiker eine ausführliche Anamnese durchführen, um Kontraindikationen auszuschließen. Im Zweifelsfall lohnt es sich, im Vorfeld den Hausarzt oder einen Orthopäden zu konsultieren, um entsprechende Erkrankungen auszuschließen.

Weil die Berufsbezeichnung in Deutschland gesetzlich nicht geschützt ist, kann ein genauer Blick auf die jeweilige Ausbildung oder eine entsprechende Nachfrage helfen, um besser einschätzen zu können, welchen fachlichen Hintergrund ein Chiropraktiker oder eine Chiropraktikerin hat.

Viele Patientinnen und Patienten fühlen sich nach der Behandlung gut

Die 32-jährige Natascha Schlosser aus Rastatt jedenfalls fühlt sich nach ihrer Behandlung beim Chiropraktiker besser als vorher. Die Schmerzen am Knie seien weg, sagt sie. Fabian Engelhardt erklärt: „Wir haben das Ilium und das Sakrum des Kreuzbeins und des Darmbeins freigemacht. Das hat schön geknackt – und dadurch wäre zu erwarten, dass die Beine gleich lang sind und der Rest jetzt dementsprechend auf einer geraden Basis steht.“

Mit dem Ergebnis ist Natascha Schlosser zufrieden. Sollte sie einmal wieder Probleme haben, will sie wieder zum Chiropraktiker gehen.

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