Wenn Bürger Politik machen

Bürgerräte für mehr Demokratie

Stand

Am 19.März 2021 wurde - von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet - ein Bürgergutachten an Bundestagspräsident Schäuble übergeben: Zehn Wochen tagte der zweite nationale Bürgerrat zum Thema "Deutschlands Rolle in der Welt". 160 per Los ausgewählte Bürger erarbeiteten 32 Empfehlungen zur Außenpolitik. Darunter auch eine Rheinland-Pfälzerin, die über ihre Erfahrungen berichtet.

Im Prinzip kann jeder Bürgerrat sein

Bürgerräte werden per Los ausgewählt aus dem ganzen Land. Ein Querschnitt durch alle Schichten und Bildungsabschlüsse.

Charlotte Volkert aus Hochdorf-Assenheim zählte zum jüngsten gesamtdeutschen Bürgerrat.
Charlotte Volkert aus Hochdorf-Assenheim zählte zum jüngsten gesamtdeutschen Bürgerrat.

Im November 2020 fand Charlotte Volkert im Briefkasten die Einladung zum "Bürgerrat" vom Verein "Mehr Demokratie", der diesen zusammen mit weiteren Trägern durchführte. Charlotte Volkert fand das Angebot spannend und sagte zu.

So funktioniert ein Bürgerrat

Normalerweise treffen sich die Mitglieder an mehreren Wochenenden in großen und kleinen Diskussionsgruppen, hören Experten-Vorträgen zu und erörtern ein Thema. Am Ende der moderierten Diskussionen steht das Ausarbeiten gemeinsamer Empfehlungen an die Politiker: Kompromisse müssen gefunden, machbare Strategien erarbeitet werden.

So war es 2019 beim ersten nationalen Bürgerrat zum Thema "Demokratie". Eine der damaligen 22 Empfehlungen war die feste Einrichtung von Bürgerräten als neuem Element demokratischer Bürgerbeteiligung.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, der 2019 die Empfehlungen des ersten nationalen Bürgerrats entgegennahm, setzte sich dafür ein, dass das auch tatsächlich geschieht und wurde nun Schirmherr des zweiten nationalen Bürgerrats zu dem Thema "Deutschlands Rolle in der Welt". Der Bundestag hatte im Juni 2020 beschlossen, diesen einzuberufen.

Bürgerrat in Coronazeiten

Nach welchen Prinzipien soll sich die deutsche Außenpolitik ausrichten? Welche Ziele verfolgen?

Unter Corona-Bedingungen musste der jüngste Bürgerrat zur Außenpolitik online ablaufen: 50 Stunden saßen Charlotte Volkert und die weiteren Bürgerrätinnen und -räte am Computer, hörten Expertenvorträgen zu und diskutierten in größeren und kleineren Gruppen zu fünf Themen:

  • Nachhaltige Entwicklung
  • Wirtschaft und Handel
  • Frieden und Sicherheit
  • Demokratie und Rechtstaatlichkeit
  • Europäische Union

Am Ende stand die Ausarbeitung von Empfehlungen an die Politik: 32 sind es geworden, die am 19. März 2021 in einer feierlichen Online-Veranstaltung an Wolfgang Schäuble überreicht wurden.

Bürgerräte als demokratische Chance

Die Politikwissenschaftlerin Manuela Glaab von der Universität Koblenz-Landau beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Bürgerräte.
Die Politikwissenschaftlerin Manuela Glaab von der Universität Koblenz-Landau beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Bürgerräte.

Prof. Manuela Glaab ist auch Teil eines Beratergremiums der baden-württembergischen Landesregierung, die nach dem Fiasko von "Stuttgart 21" nach Formen suchte, die Bürger besser in politische Entscheidungsprozesse einzubinden.

"Bürgerräte können ganz bestimmt zur Belebung und auch zur Versachlichung der Debatte beitragen und ich sehe besonders eine Chance darin, dass durch die Zufallsauswahl auch Teile der Bevölkerung erreicht werden, die sich normalerweise sich nicht für Politik interessieren, sich nicht politisch engagieren."

Die etablierten Parteien leiden an Mitgliederschwund, immer weniger Menschen wollen sich in Parteien engagieren. Bürgerräte sieht auch sie als Chance für eine bessere Beteiligung des Volkes. Allerdings sei es wichtig, dass für die Bürgerräte klare Ziele definiert seien, denn ansonsten entstehe das Gefühl, die ganze Arbeit sei umsonst gemacht und die Bürger, die Zeit und Energie für den Prozess eines Bürgerrates aufgewendet haben, sind enttäuscht.

Das heißt: Die Empfehlungen von Bürgerräten sollten von der Politik ernst genommen werden. Deshalb muss vorher klar sein: Was passiert mit den Ergebnissen?

Bürgerräte eher lokal durchführen

Bei welchem Thema Bürgerräte oder andere Formen innovativer Bürgerbeteiligung Sinn machen, wird unter Experten kontrovers diskutiert.

Ein so schwieriges Thema wie "Deutschlands Rolle in der Welt" setzt voraus, dass die Bürgerräte und Bürgerrätinnen sich in komplexe Zusammenhänge einarbeiten und durch Vorträge von Experten und Expertinnen überhaupt in die Lage versetzt werden, sie beurteilen zu können.

Es ist also aufwändig und kostet einiges an Geld. Für die Teilnehmer ist es jedoch ein großer Wissens- und Kompetenzzuwachs, der auch in ihr persönliches Umfeld ausstrahlt. Und der diesjährige Bürgerrat zeigt: 160 Menschen, zufällig ausgewählt aus der Bevölkerung, sind sehr wohl in der Lage, 32 interessante und fundierte Empfehlungen zur Außenpolitik auszuarbeiten und das in dem kurzen Zeitraum von 10 Wochen.

Mehr Zukunft für innovative Formen der Bürgerbeteiligung sehen viele Experten und Expertinnen, wie Professor Manuela Glaab jedoch bei einem lokal oder regional begrenztem Thema, das die Menschen vor Ort angeht.

Beispiel Ludwigshafen: Hier durften Bürger online mitdiskutieren und abstimmen, wie es mit den maroden Hochbrücken in der Stadt weitergehen sollte und wie die Verkehrsgestaltung danach aussehen wird.

Fazit

Stand
Autor/in
SWR Fernsehen