Folge 656

21.09.2007 Reisetagebuch

Stand
Autor/in
Alexander Schweitzer
Alexander Schweitzer

Es ist eine Reise der ganz besonderen Art: die gesamten 2.500 Kilometer von Nürnberg nach Istanbul, zum alten Bahnhof Sirkeci werden mit Dampf zurückgelegt.

Plovdiv

Nach der stimmungsvollen Dampfausfahrt in Plovdiv spricht uns Joseph, ein netter älterer Herr auf Deutsch an und gratuliert uns zu dem Dampfzug und der schönen Ausfahrt. Anschließend nehmen wir ein paar Bilder der sehenswerte Altstadt von Plovdiv auf, mit römischen Amphitheater und zahlreichen antiquarischen Gebäuden und dem Töpfer Georgi Dimitrov Genchev, der sich auf traditionelle Tonherstellung spezialisiert hat.
Mit 8.000 Jahren gehört Plovdiv zu den ältesten Städten in Europa. Da der Rundgang einige Zeit verschlingt, schaffen wir den Zug bis zum Wasserfassen in Dimitrovgrad ganz knapp nicht mehr.

Pannen und kein Ende

Auch der letzte Tag in Bulgarien ist nicht Vergnügungssteuerpflichtig. Hielt sich die Verspätung morgens noch in Grenzen, sind am Abend sämtliche Grenzen überschritten. In Dimitrovrad trennen sich die Wege der beiden Zugmaschinen. Da die Wasseraufnahme die Nerven sämtlicher Beteiligten aufs Äußerste strapaziert, einigte man sich, den Zug nur noch von der Lok 16.01 ziehen zu lassen.

Herzliche Begegnung

In der Zwischenzeit finden sich einige Einheimische neben unserer Kamera ein. Ein älterer Her kommt mit einem Stapel Papier auf uns zu, Fotokopien eines Eisenbahnbuches, und zeigt uns, welche Lok er seinerzeit als Lokführer gefahren hatte und welche Lok vor unserem Zug steht. Dabei lächelt er uns freundlich an und geht nach einem Abschiedsgruß mit seinen Kopien wieder in den Garten, um zusammen mit seiner Familie die Vorbeifahrt zu genießen. Eisenbahner auf der ganzen Welt scheinen ihre Bahn zu lieben und die alten Dampfrösser.

Ein Verlust mit Folgen

Eine Vorbeifahrt kann noch auf Platte gebannt werden, dann ist der Bolzen los und wir unser schönes Motiv an einer Steigung kurz vor Biser.
Der Lok ist eine kleine Schraube an der Steuerung weggeflogen und dieses kleine Teil verursacht eine große Wirkung, denn die Lok steht und kann sich aus eigener Kraft nicht mehr bewegen. Zum Glück ist die Grenzstadt Svilengrad nur 20 Kilometer entfernt, von dort macht sich umgehend eine Diesellok auf, um Zughilfe zu leisten. Die ältere Diesellok aus rumänischer Produktion zieht dann die Fuhre zügig und mit sonorem Klang aus der Bolzenverlustzone.
Der halbe Zug war zuvor ausgestiegen und hatte sich auf Bolzensuche begeben. Eher findet man eine Stecknadel in dem berühmt gewordenen Hühnerhaufen, als ein Stück Metall an dieser zugewachsenen Trasse.

Ein Engländer auf dem Balkan

Martin Jeffes, ein Engländer, der seit einigen Jahren in Bulgarien lebt und einen Platz für Campingmobile betreibt, hat uns interessiert, aber fragend bei unserem Warten auf den Zug zugeschaut. Später erzählt er ein wenig über Bulgarien und seine Menschen. Ein armes Land, mit ehrlichen Menschen, die nach vielen Jahrzehnten der Fremdbestimmung erst langsam lernen, selber zu entscheiden und Verantwortung zu übernehmen. Er selbst führt seit diesem Jahr einen Platz für Campingmobile und lädt die mobilen Gäste herzlich ein. Angenehmes Klima, gutes Essen, reiner Wein, preiswertes Leben. So, wie es ausschaut, ist hier gut sein. Außerdem ist es nicht weit nach Griechenland und in die Türkei.
Wir haben gesagt, dass wir seine Einladung gerne weiterleiten: Voila.

Langer Grenzaufenthalt

Den Bahnhof von Svilengrad finden wir zu spät, der Zug ist überraschend schnell unterwegs, deshalb begeben wir uns, ohne den Bahnhof gesehen zu haben, mit dem Auto zur Grenze und sind überrascht, als auf türkischer Seite nach einer Kontrolle die nächste auftaucht und dann auch noch eine dritte. Schließlich fahren wir auf türkischem Boden, erblicken den Grenzbahnhof Kapikule gefunden, kommen aber nicht heran. Ein Feldweg scheint dann doch hinzuführen, doch wir landen in einem streng verbotener militärischer Sicherheitsbereich, wie wir auf der Rückfahrt feststellen müssen, nachdem uns ein schwer bewaffneter Grenzer gegenübersteht.

Sonne ohne Ausfahrt

Kurz darauf stehen wir am Bahnhof, die Lok dampft, das Signal geht auf grün, aber nichts tut sich.
Der Zug setzt sich erst in Bewegung, nachdem eine E-Lok davor gespannt worden ist. Aber da ist es bereits Nacht. Dennoch ist die Ausfahrt recht stimmungsvoll. Das Außenteam macht sich anschließend auf den direkten Weg nach Istanbul. Dieses ist nach gut zwei Stunden und 270 Kilometern erreicht. An einer Tankstelle fragen wir nach dem Weg zum Hotel. Nach kurzen Erklärungsversuchen erklärt sich ein Gast bereit, uns voraus zu fahren. Türkische Gastfreundschaft. Zehn Minuten später sind wir im Hotel.

Verspätete Ankunft

Die Mitreisenden im Zug müssen darauf noch einige Stunden warten. In den Abteilen ziehen die Fahrgäste die Sitze auseinander und funktionieren sie zu Liegen um. Platz zum Liegen und die Möglichkeit, dem nächsten Morgen entspannt entgegen zu ruhen. In einem Abteil stellte ein Fahrgast nichts Böses denkend seine Schuhe vor die Abteiltür. Am nächsten Morgen fand er darin einen Zettel auf dem stand:
"Schuhputzservice nicht inbegriffen".....
Der kombinierte Dampf-/Elektrozug hat auf der eingleisigen Strecke nicht immer freie Fahrt und trifft erst bei Tageslicht in Istanbul Sirkeci ein.
Bei der Einfahrt in den alten mondänen Orientexpress Bahnhof steht die Dampflok stilgerecht an der Spitze des Zuges, aber insgesamt hatte sie zu wenig Kraft, um den Zug selbst zu bewegen. Aber die Pfeife funktionierte. Wegen ihres hohen Klanges auch "Eunuchenpfeife" genannt.

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Alexander Schweitzer
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